Nun
endlich werden auch prominente Namen der deutschen Linken auf die Brutalität
des Terrornetzwerkes »Islamischer Staat« (IS) aufmerksam. Doch diese
Aufmerksamkeit offenbart auch das Armutszeugnis einiger Meinungsführer
innerhalb der linken. So fordert der Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIE
LINKE, Gregor Gysi, dass »Deutschland den Kurden Waffen liefern« solle.
Jene,
die mit den Ezidis mitfühlen, die in die Sengal-Berge geflüchtet sind und große
Schmerzen erleiden, ,haben wahrscheinlich das gute Glauben in dieser Forderung
gesehen bzw. sehen wollen. Natürlich ist es eine dringende Aufgabe, die mehr
als 40 Tausend Menschen, die vor der mittelalterlichen Brutalität der IS
flüchten, zu schützen und diese unglaubliche Bedrohung vollständig zu
beseitigen. Ob aber diese Notwendigkeit, mit der Forderung »den Kurden« - hier
meint Gysi die Barzani-Kräfte - »Waffen zu liefern« verwirklicht werden kann,
ist höchst zweifelhaft.
Nicht
zu bezweifeln ist, dass Gregor Gysi über ausreichende Informationen verfügt. Er
ist ein intelligenter Politiker, der zudem engen Kontakt zu mehreren
Fraktionsmitgliedern hat, die die Region sehr gut kennen und öfters vor Ort
waren. Die Frage hier ist, ob Gregor Gysi einige Fakten durcheinander gebracht
hat bzw. falsch informiert wurde, oder er mit seiner Forderung etwas anderes im
Sinn hat. Es täte sicherlich gut, hier die Fakten einmal zu wiederholen – auch
wenn Jan van Aken dies in einem Interview ausführlich betont hat: Diejenigen
Kräfte, nämlich die HPG (aus Nordkurdistan), die YPG (aus Rojava-Kurdistan) und
einige Peschmerga-Einheiten (insbesondere jene der YNK), die gegen die
IS-Terroristen eine wirksame Gegenwehr entgegenstellen, fordern sofortige
humanitäre Hilfe und keine militärische. Der einzige, der militärische Hilfe
anfordert, ist gerade derjenige, der die Ezidis, Turkmenen und schiitischen
Araber dem Terror der IS durch Rückzug seiner Kräfte überlassen hat – nämlich
Mesud Barzani. Barzani hat offensichtlich vor, das Massaker an den Ezidis und
anderen Zivilist_innen für die militärische und politische Unterstützung seiner
»Unabhängigkeitsprojektes« auszunutzen. Für einen kleinen kurdischen
Nationalstaat, der im Endeffekt nicht mehr als ein »kurdisches Kosovo« sein
wird.
Auf
der anderen Seite darf aber nicht vergessen werden, dass die IS-Terroristen
offen von Saudi-Arabien, dem Katar und der Türkei militärisch, finanziell und
logistisch unterstützt werden. Solange diese Unterstützung fortdauert, solange
werden die Massaker nicht zu Ende gehen. Insofern stellt sich doch die Frage,
warum Gregor Gysi nicht in den Sinn kommt, von den EU-Staaten und den
westlichen Mächten harte Sanktionen gegen diese Länder zu fordern. Immerhin
sind sie ja geübt darin – siehe Russland. Warum kommt es Gregor Gysi nicht in
den Sinn, dass das Programm seiner Partei »Rüstungsverbote« fordert? Und warum
denkt er beispielsweise nicht daran zu fordern, dass die Türkei ihren Grenzen
für die IS-Terroristen dicht, aber für die Flüchtlinge offen machen sollte?
Immerhin werden die IS-Terroristen in den türkischen Krankenhäusern kostenlos
behandelt, aber Ezidi-Kinder abgewiesen, weil sie keine Pässe haben.
Angesichts
der Tragödie im Irak und Syrien täte dem Vordermann der Linken gut zu Gesicht
stehen, wenn er ein paar dringliche Forderungen aufstellen würde. Diese könnten
z.B. sein: Sofortige humanitäre Hilfe und Rettung der eingeschlossenen
Zivilisten. Zweitens; die Unterstützung der IS-Terroristen muss sofort beendet,
gegen Unterstützung leistende Staaten müssen harte Sanktionen verhängt werden.
Drittens; die Gründung einer Einheitsregierung im Irak, in dem die
Vertreter_innen von Sunniten, Schiiten, Kurd_innen und anderen Ethnien sowie
religiösen Gruppen gleichberechtigt teilnehmen, muss gefördert und die
Bekämpfung der IS-Terroristen durch das irakische Militär und Polizei politisch
unterstützt werden. Die Ausübung der Militär- und Polizeigewalt ist alleinige
Sache der Landeskräfte. Nur so kann der 12 Tausend Mann starke Terrornetzwerk
wirksam bekämpft werden. Die Bombardierungen der USA haben wieder bewiesen,
dass ausländische Interventionen keine Lösung darstellen und gerade der Westen
nur im Sinne seiner eigenen Interessen handelt.
Wer
in einer solchen Situation besseren Wissens, Forderungen aufstellt, die unter
dem Deckmantel der »Humanität« die Politik des Westens unterstützt, leistet
einen Bärendienst – nicht nur seiner eigenen Partei, sondern im Besonderen
jenen, die die IS-Terroristen wirksam bekämpfen und eine gemeinsame Zukunft in
ihrem Land aufbauen wollen. Es mag sein, dass manche Linke in Deutschland
unbedingt darstellen wollen, dass sie »Regierungsfähig« sind und »im Einzelfall
über Kriegsteilnahme entscheiden« wollen. Das ist ihr gutes Recht, doch sollte
das nicht im Namen aller Mitglieder der Partei DIE LINKE geschehen. Niemand
kann einem Gregor Gysi verbieten, seine Meinung kundzutun. Auch den
bürgerlichen Medien kann nicht verboten werden, Gregor Gysi als »den«
vernünftigsten Linken darzustellen. Aber es sollte auch niemand erwarten, dass
das alles widerspruchslos von anderen Linken aufgenommen wird. Wer Staatsräson
zur Parteisache erklärt, der muss damit rechnen, dass andere ihm das geltende
Parteiprogramm entgegen halten.
Seit Jahren weisen verschieden Mitglieder der Linken
und verschiedene Bundestagsabgeordnete auf die akuten Probleme in der Region
hin. In den bürgerlichen Medien werden sie als »Extremisten«, »Sektierer« und
»unverbesserliche Fundamentalisten« diffamiert. Sozialisten werden immer damit
rechnen müssen, von den bürgerlichen Medien so angegriffen zu werden. Das ist
aber noch lange kein Grund, um sich von der eigenen Programmatik zu entfernen.
Linke sollten sich nicht von bürgerlichen Medien Debatten aufzwingen lassen,
sondern den Schmerz der Anderen als ein Schmerz des eigenen Leibes fühlen und
sich mit jenen, die für eine freie, gleichberechtigte, friedliche und
demokratische Zukunft kämpfen, solidarisieren. Dafür ist es notwendig, sich auf
die eigenen Aufgaben im eigenen Land zu konzentrieren und nicht zu vergessen,
dass weder Deutschland noch die eigene Partei das Zentrum der Welt ist. Wie es
geht, dafür reicht ein Blick in das syrische Rojava oder den gemeinsamen Kampf
unterschiedlicher kurdischer Gruppen.