Es
war wohl eine trügerische Hoffnung, dass die Ferienzeit und der Fastenmonat die
Proteste abebben lassen würden. Die AKP-Regierung konnte zwar mit massiver
Polizeigewalt die Plätze räumen, doch der Protest hat sich nur verlagert: auf
allabendliche Foren, öffentliche Fastenbrechen mit Tausenden Teilnehmenden und
auf Sommerjugendcamps, die in Ferienorten wie Pilze sprießen.
Trotz
Diffamierungskampagnen und Verhaftungswellen hält der Druck der Straße
unvermindert an. Bei jedem öffentlichen Auftritt beschwert sich Erdoğan über
die »terrorisierenden Plünderer«. »Umsturzversuche« seien dies, gesteuert vom
Ausland und der »Zinslobby«. Mit antisemitischen Parolen ruft er seine Anhänger
zur Denunziation auf und motiviert mit Prämienzahlungen seine Polizei zum
härteren durchgreifen.
Er
hat Angst und diese ist begründet.
Der
»Juni-Aufstand« hat die hässliche Fratze der Erdoğan-Regierung aufgedeckt.
Westliche Partner wurden von dieser Fratze aufgeschreckt. Über 10 Jahre lang
hatten sie die AKP unterstützt. Der »gemäßigte Islam«, gepaart mit
wirtschaftlichen Aufschwung und Demokratisierungsversprechen schien überhaupt
»die« Möglichkeit zu sein, die islamische Welt zu »domestizieren«. Doch wie in
Tunesien und Ägypten offenbarte sich, dass die »Kompatibilität« der Islamisten
mit der bürgerlichen Demokratie nur bedingt möglich ist – mehr noch: deren
Regierungsweise gefährdet nun die Stabilität in der Region.
Dominanz,
Allmachtsphantasien und paternalistisches Handeln liegen im Natur der
neoliberalen Islamisten. Andersdenkende werden nicht geduldet. Alles hat sich
der eigenen Vorstellung unterzuordnen, Grundrechte und Freiheiten werden nur
gewährt, wenn es die Regierung erlaubt. Das Volk hat Dankbarkeit zu zeigen,
denn die neoliberal-islamistische Regierung ist allwissend. Nur sie wissen, was
richtig und falsch ist, wie viele Kinder Frauen zu gebären haben und was das
Volk zu glauben hat. Sich dem widerzusetzen, gar universell gültige Rechte
einzufordern ist Landesverrat und gleicht der Ketzerei. Gewaltenteilung
behindert das Wirtschaftswachstum und der Rechtsstaat begünstigt
Umsturzversuche. In Kurzform gebracht ist dies das Politikverständnis der
AKP-Regierung, welches mit dem »Juni-Aufstand« offen zu Tage getreten ist.
Die
Menschen wehren sich dagegen. Sie vernetzen und organisieren sich. Nach den
Sommerferien werden weitere Massendemonstrationen erwartet. Auch der
Friedensprozess in der Kurdenfrage gerät ins Stocken. Die kurdische Bewegung
hat die Regierung aufgefordert, bis zum 1. September 2013 ernsthafte Schritte
zu unternehmen. Nach Ablauf dieser Frist könnte die Situation eskalieren. In
der Außenpolitik, die von der »strategischen Tiefe« der neo-osmanischen Vision
gekennzeichnet ist, liegen alle Ziele in Trümmern. Die Wirtschaft schwächelt
und das ausländische Kapital, das zum Ausgleich des Leistungsbilanzdefizits
unbedingt erforderlich ist, zieht sich langsam zurück.
Der Sommer in der Türkei gleicht einer Ruhe vor dem
Sturm. Denn die Protestbewegung sammelt sich und sagt, »das ist nur der Anfang,
der Kampf geht weiter«. In diesem Sturm wird das große »AKP-Schiff« sicher
nicht untergehen, aber ob der irrational handelnde Kapitän danach weiter auf
seinem Posten bleiben kann, das scheint zu mindestens fraglich zu sein.