Freitag, 3. Januar 2014

Erdoğans Menetekel

Auf dem Höhepunkt seiner Macht sind es keine geringeren als seine Nächsten, die Erdoğan den Dolch in den Rücken treiben. Ein Korruptionsskandal, der sich zu einer Staatskrise entwickelt hat, offenbart das Ende des vom Westen präferierten »türkischen Modells«.

Auch den letzten Optimisten im Westen dürfte es seit Ägypten klar sein, dass der politische Islam nur bedingt mit der bürgerlichen Demokratie kompatibel ist und in der »Region der Instabilitäten« (G. Schröder) kein Stabilitätsanker mehr sein kann. Nach 11 Jahren AKP-Regierung ist nun der endgültige Beweis dafür erbracht.
Die aktuelle Entwicklung in der Türkei ist für Außenstehende kaum zu durchschauen – selbst Insider mutmaßen über die Hintergründe. Feststeht aber, dass die Ehe der neoliberalen Islamisten schwer zerrüttet ist und auseinanderzubrechen droht. Das hat sowohl innen- als auch außenpolitische Gründe und seit 2011 ist zu verfolgen, wie sich das Blatt gewendet hat.
Korruption und Selbstbereicherung von politisch Verantwortlichen hat in der Türkei eine lange Tradition. In der AKP-Ära hat das aber ungeheure Maße angenommen. Erdoğan zentralisierte kommunale Aufgaben in Ankara und konnte so den Bausektor unter seine Kontrolle bringen. Wenn man bedenkt, dass zwischen 2002 und 2012 die Bauwirtschaft durchschnittlich rund 5,5 Prozent des BIPs ausmacht und eines der Stützpfeiler des türkischen Wirtschaftswachstums sowie des Akkumulationsregimes ist, wird die Macht Erdoğans deutlich.
Doch Erdoğan kann nur Bürgermeister und will die absolute Macht. Er verwechselt die parlamentarische Demokratie mit der Diktatur der Mehrheit. Willkürjustiz, Feindstrafrecht, Aufhebung der Gewaltenteilung, Islamisierung des Alltags und Bevormundung der Gesellschaft prägen seine Regierungszeit. Der »Juni-Aufstand« in 2013 offenbarte den gesellschaftlichen Unmut und beschädigte Erdoğans Gewinner-Image nachhaltig. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.
Schwerwiegender sind die Folgen der auf Regionalimperialismus ausgerichteten Außenpolitik. Trotz Unterstützung des Westens konnte Erdoğan nicht verhindern, dass sämtliche außenpolitische Ziele in Trümmern liegen. Obwohl die Türkei islamistische Terrorbanden in Syrien unterstützt und das Völkerrecht verletzt, konnte sie weder die kurdische Autonomie verhindern, noch das Assad-Regime verdrängen. Mehr noch: durch die Annäherung der USA und Iran steht die »schiitische Achse« stärker als denn je.
Erdoğan hat das Vertrauen der arabischen Welt verloren. US-Zeitungen hinterfragen schon die »berühmte geopolitische Rolle der Türkei«. Hinzukommen wirtschaftliche Probleme und die Verteuerung des US-Dollars. In den letzten Monaten hat die türkische Lira mehr als 10 Prozent an Wert verloren. Für ein Land, das jährlich über 60 Milliarden US-Dollar für Energielieferungen ausgibt, hat das fatale Folgen. Der Rückfluss des ausländischen Kapitals – die Geldpolitik der FED hat auch seine Auswirkungen – erhöht den Druck, dessen Ausgang ungewiss ist.
Erdoğan wettert gegen Kapitalfraktionen, die ihm die Unterstützung versagen. Für die USA ist Erdoğan kein verlässlicher Partner mehr. Er kann sich jedoch weiterhin auf eine große Wählerschaft stützen. Die Angriffe aus den eigenen Reihen zielen offensichtlich auf die Domestizierung der AKP. Die Angreifer aus der Gülen-Bewegung sind aber auch kein Hort von Demokraten. Sie haben den Justiz- und Polizeiapparat unter ihrer Kontrolle und ihnen geht es nicht um die Demokratie, sondern um den Ausbau ihrer Macht und um die Verdrängung von Erdoğan.
Noch steht nicht fest, wie dieser Machtkampf enden wird. Die Kommunalwahlen im März werden die Richtung vorgeben. Im August soll dann der Staatspräsident gewählt werden. Ob es dazu kommt, ist offen. Möglich ist, dass Erdoğan durch vorgezogene Parlamentswahlen ein Befreiungsschlag versuchen könnte. Möglich ist aber auch, dass er von seinem Amtssitz in Handschellen abgeführt wird, was angesichts des Ausmaßes der Korruptionen keine Überraschung wäre.

Das einzige, was Erdoğan retten könnte, wäre eine breite Demokratisierung und die friedliche Lösung des kurdischen Problems. Doch dafür ist Erdoğan weder politisch noch intellektuell in der Lage. »Mene mene tekel u-parsin« würde der Weise Daniel sagen.