Auf
dem Höhepunkt seiner Macht sind es keine geringeren als seine Nächsten, die
Erdoğan den Dolch in den Rücken treiben. Ein Korruptionsskandal, der sich zu
einer Staatskrise entwickelt hat, offenbart das Ende des vom Westen
präferierten »türkischen Modells«.
Auch
den letzten Optimisten im Westen dürfte es seit Ägypten klar sein, dass der
politische Islam nur bedingt mit der bürgerlichen Demokratie kompatibel ist und
in der »Region der Instabilitäten« (G. Schröder) kein Stabilitätsanker mehr sein
kann. Nach 11 Jahren AKP-Regierung ist nun der endgültige Beweis dafür
erbracht.
Die
aktuelle Entwicklung in der Türkei ist für Außenstehende kaum zu durchschauen –
selbst Insider mutmaßen über die Hintergründe. Feststeht aber, dass die Ehe der
neoliberalen Islamisten schwer zerrüttet ist und auseinanderzubrechen droht.
Das hat sowohl innen- als auch außenpolitische Gründe und seit 2011 ist zu
verfolgen, wie sich das Blatt gewendet hat.
Korruption
und Selbstbereicherung von politisch Verantwortlichen hat in der Türkei eine
lange Tradition. In der AKP-Ära hat das aber ungeheure Maße angenommen. Erdoğan
zentralisierte kommunale Aufgaben in Ankara und konnte so den Bausektor unter
seine Kontrolle bringen. Wenn man bedenkt, dass zwischen 2002 und 2012 die
Bauwirtschaft durchschnittlich rund 5,5 Prozent des BIPs ausmacht und eines der
Stützpfeiler des türkischen Wirtschaftswachstums sowie des Akkumulationsregimes
ist, wird die Macht Erdoğans deutlich.
Doch
Erdoğan kann nur Bürgermeister und will die absolute Macht. Er verwechselt die
parlamentarische Demokratie mit der Diktatur der Mehrheit. Willkürjustiz,
Feindstrafrecht, Aufhebung der Gewaltenteilung, Islamisierung des Alltags und
Bevormundung der Gesellschaft prägen seine Regierungszeit. Der »Juni-Aufstand«
in 2013 offenbarte den gesellschaftlichen Unmut und beschädigte Erdoğans
Gewinner-Image nachhaltig. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.
Schwerwiegender
sind die Folgen der auf Regionalimperialismus ausgerichteten Außenpolitik.
Trotz Unterstützung des Westens konnte Erdoğan nicht verhindern, dass sämtliche
außenpolitische Ziele in Trümmern liegen. Obwohl die Türkei islamistische
Terrorbanden in Syrien unterstützt und das Völkerrecht verletzt, konnte sie
weder die kurdische Autonomie verhindern, noch das Assad-Regime verdrängen.
Mehr noch: durch die Annäherung der USA und Iran steht die »schiitische Achse«
stärker als denn je.
Erdoğan
hat das Vertrauen der arabischen Welt verloren. US-Zeitungen hinterfragen schon
die »berühmte geopolitische Rolle der Türkei«. Hinzukommen wirtschaftliche
Probleme und die Verteuerung des US-Dollars. In den letzten Monaten hat die
türkische Lira mehr als 10 Prozent an Wert verloren. Für ein Land, das jährlich
über 60 Milliarden US-Dollar für Energielieferungen ausgibt, hat das fatale
Folgen. Der Rückfluss des ausländischen Kapitals – die Geldpolitik der FED hat
auch seine Auswirkungen – erhöht den Druck, dessen Ausgang ungewiss ist.
Erdoğan
wettert gegen Kapitalfraktionen, die ihm die Unterstützung versagen. Für die
USA ist Erdoğan kein verlässlicher Partner mehr. Er kann sich jedoch weiterhin
auf eine große Wählerschaft stützen. Die Angriffe aus den eigenen Reihen zielen
offensichtlich auf die Domestizierung der AKP. Die Angreifer aus der
Gülen-Bewegung sind aber auch kein Hort von Demokraten. Sie haben den Justiz-
und Polizeiapparat unter ihrer Kontrolle und ihnen geht es nicht um die
Demokratie, sondern um den Ausbau ihrer Macht und um die Verdrängung von
Erdoğan.
Noch
steht nicht fest, wie dieser Machtkampf enden wird. Die Kommunalwahlen im März
werden die Richtung vorgeben. Im August soll dann der Staatspräsident gewählt
werden. Ob es dazu kommt, ist offen. Möglich ist, dass Erdoğan durch
vorgezogene Parlamentswahlen ein Befreiungsschlag versuchen könnte. Möglich ist
aber auch, dass er von seinem Amtssitz in Handschellen abgeführt wird, was
angesichts des Ausmaßes der Korruptionen keine Überraschung wäre.
Das
einzige, was Erdoğan retten könnte, wäre eine breite Demokratisierung und die
friedliche Lösung des kurdischen Problems. Doch dafür ist Erdoğan weder
politisch noch intellektuell in der Lage. »Mene mene tekel u-parsin« würde der
Weise Daniel sagen.