Die Presse- und
Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut der Demokratie und die AKP-Regierung habe in
den letzten neun Jahren nie dagewesene mutige Schritte in Sachen Pressefreiheit
unternommen – so der türkische Premier Erdoğan
auf einer Galaveranstaltung aus Anlass des 25 jährigen Bestehens der
Tageszeitung »Zaman«.
Nun, sicherlich war die Veranstaltung des Flaggschiffs der islamisch-neoliberalen Gülen-Bewegung eine gute Bühne für den Premier. Widerspruch hatte er nicht zu erwarten. Von der Freiheit, im eigenem »Stall« zu sprechen ermuntert fand Erdoğan für verhaftete JournalistInnen in der Türkei nur verächtliche Worte: »Man führt gegen die Türkei eine Schmutzkampagne, in dem man Polizistenmörder, Frauenbelästiger und Putschbefürworter als Journalisten bezeichnet«.
Diese Begründung
gehört zum Standartrepertoir der türkischen Regierung. Rund zwei Monate vorher,
am 12. Oktober 2011 erklärte der EU-Minister Egemen Bağış vor der
internationalen Presse: »In der Türkei
gibt es keinen einzigen Journalisten, der wegen der Ausübung seines Berufes
verhaftet wurde. Alle in dem Fortschrittsbericht erwähnten Journalisten wurden
nicht wegen ihres Berufes, sondern wegen illegalen Tätigkeiten verhaftet«.
Wer’s glaubt,
wird selig! Würde Mensch sich nur über die gängigen türkischen Medien
informieren, hätte Mensch den Eindruck, dass die Türkei ein Musterbeispiel der
Pressefreiheit ist. Doch die Realität sieht anders aus. Zahlreiche unabhängige
Institutionen, so z.B. der Internationale PEN-Club oder die Organisation
»Reporter ohne Grenzen« beziffern die Zahl der zu Unrecht inhaftierten
JournalistInnen in der Türkei auf über 110. Auf der Liste der Pressefreiheit
rangiert die Türkei damit auf Platz 148 von 179 Ländern.
Gleichschaltung
der Medien und Feindstrafrecht
Vor diesen
Realitäten können auch konservative europäische Institutionen nicht schweigen,
die ansonsten AKP-freundlich agieren. So sieht z.B. die
Konrad-Adenauer-Stiftung die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei
besonders gefährdet.
Das kommt nicht
von ungefähr: Seit ihrem Machteintritt hat die AKP-Regierung zahlreiche
Instrumente zur systematischen Gleichschaltung der Medien eingeführt. Vor allem
mit der Novellierung des Strafgesetzbuches in 2005 und den Änderungen im
»Gesetz zur Terrorismusbekämpfung« wurde die Arbeit der kritischen
JournalistInnen erheblich erschwert. Die Erdoğan-Regierung
schreckt nicht davor zurück, gegen oppositionelle JournalistInnen das
Feindstrafrecht anzuwenden.
Gegenwärtig sind
fast 7.000 Internetseiten gerichtlich verboten. Gegen die Tageszeitung Özgür
Gündem sind 550 Verfahren anhängig. Obwohl die Presse- und Meinungsfreiheit
gesetzlich gewährleistet ist, wird sie durch Willkürjustiz und Feindstrafrecht
ad absurdum geführt. So wird beispielsweise als Straftatbestand angesehen, »gegen die grundlegenden nationalen
Interessen zu verstoßen«. Staatsanwälte mit Sondervollmachten definieren dann
die »nationalen Interessen« und
zerren kritische JournalistInnen vor Sondergerichte.
So wurden,
insbesondere kurdische JournalistInnen mit dem Vorwurf, »Mitglied einer terroristischen Organisation zu sein« verhaftet.
Nachrichten zu schreiben, über Missstände zu informieren oder über Massaker der
Armee zu berichten, die von den gängigen Medien totgeschwiegen werden, reichen
aus, um als »Terrorist« abgestempelt
und mit dem Vorwurf, »terroristische
Straftaten begangen zu haben, ohne Mitglied der Terrororganisation zu sein«
verhaftet zu werden. Alleine 30 MitarbeiterInnen der Dicle Nachrichtenagentur,
12 der Zeitschrift Azadiya Welat und 12 JournalistInnen der Tageszeitung Özgür
Gündem sind mit diesen Vorwürfen seit Monaten in Haft.
Einige
JournalistInnen sind seit Jahren in Haft – ohne zu wissen, wessen sie beschuldigt
werden, da die Anklage zur Geheimsache erklärt wurde.
Mit dieser
Praxis versucht die AKP nicht nur die kurdischen bzw. linkssozialistischen
Medien mundtot zu machen, sondern baut damit ein immenses Bedrohungspotential
gegenüber jeglicher kritischer Berichterstattung auf. Der Premier spielt hier
eine besondere persönliche Rolle.
Es gehört zu den
fast alltäglichen Ritualen von Erdoğan, sich mit der
kritischen Presse und JournalistInnen auseinander zu setzen. Insbesondere bei
den Sitzungen der AKP-Fraktion im türkischen Parlament nimmt er nicht nur
Zeitungen unter Beschuss, sondern namentlich genannte JournalistInnen, die kurz
danach von ihren Arbeitgeberinnen fristlos entlassen werden. So erging es
beispielsweise den renommierten Journalistinnen Nuray Mert, Ece Temelkuran oder
der Fernsehmoderatorin Banu Güven. Selbst ehemals regierungsfreundliche Stimmen
wie Mehmet Altan werden davon betroffen, wenn sie sich »unrühmlich« verhalten.
Einschüchterungs-
und Züchtigungsmethoden
Erdoğan bedient sich bei seinem »Kampf« gegen die »AKP-feindliche Presse« meist auch den
Medienunternehmen selbst. Wenn Medienunternehmen sich zu kritisch gegen die
AKP-Regierung positionieren, werden sie zu Zielen von behördlichen Attacken. So
bekam beispielsweise das größte Medienunternehmen der Türkei, die
Doğan-Holding, deren einige Tageszeitungen und Fernsehsender über die
Regierungsarbeit kritisch berichteten, 2010 eine Steuernachzahlungsaufforderung
von nahezu 1 Milliarde Euro. Holdinginhaber Aydın Doğan war gezwungen sich von
einigen seiner Tageszeitungen zu trennen, Firmenanteile zu verkaufen und
MitarbeiterInnen zu entlassen.
Doch damit nicht
genug: die zuständigen Ministerien wurden angewiesen, Firmen, die im Besitz von
Aydın Doğan sind, bei staatlichen Ausschreibungen nicht mehr zu
berücksichtigen. Genau das war für Doğan-Holding ein besonders harter Schlag,
da sie in anderen Wirtschaftsbereichen, so z.B. im Energiesektor stark
engagiert ist.
Die Drohung, bei
staatlichen Ausschreibungen keinen Zuschlag zu bekommen oder die Angst,
horrende Steuernachzahlungsaufforderungen zu erhalten wirken disziplinierend.
Dennoch; das Ende der freien Presse in der Türkei ist auch freiwillig. Denn die
gängigen Medien gehören großen Unternehmensgruppen, die in verschiedenen
Wirtschaftszweigen tätig und auf staatliche Aufträge angewiesen sind. Die
gängigen Medienunternehmen sind große Konzerne, die von der neoliberalen
Politik der AKP-Regierung am meisten profitieren. Die Grenzen der
Pressefreiheit in den gängigen Medien werden von den wirtschaftlichen
Interessen der Konzerne definiert.
Daher ist nicht
nur die staatliche Zensur, die die journalistische Arbeit erschwert, sondern
auch die Selbstzensur der Redaktionen, die von den Zeitungsverlegern unter
Druck gesetzt werden.
Im Oktober 2011
lud Erdoğan ausgesuchte Zeitungsverleger und Chefredakteure zu
einem Treffen ein. Während dieses Treffens forderte er die Medien auf, ihre
Berichterstattung auf »nationale
Interessen« auszurichten und regierungskritische JournalistInnen zu
entlassen. Nach diesem Treffen erklärte Erdoğan vor
Fernsehkameras, dass er die Zeitungsverleger aufgefordert habe, »bei der Berichterstattung über die
Bekämpfung des Terrors besondere Verantwortung zu zeigen«.
Wie diese »besondere
Verantwortung« aussieht, konnte man nach dem Massaker von Roboski (Uludere)
verfolgen. Ende Dezember 2011 wurden in Roboski 35 junge Kurden, die meisten
Angehörige einer einzigen Familie, bei einem Bombenangriff der türkischen Armee
getötet. Während kurdische Medien wie Roj TV oder die Nachrichtenagentur ANF
binnen kurzer Zeit darüber berichteten, brauchten die türkischen Medien für
erste zaghafte Berichte mehr als 9 Stunden – in diesem Informationszeitalter
eine Ewigkeit. Doch danach begann die perfide Manipulation der Öffentlichkeit.
Mit rassistischen Kommentaren wurden die Opfer zu Tätern gemacht und die Armee
reingewaschen. Obwohl einige kritische Stimmen in den gängigen Medien zu hören
waren, verfolgen die meisten türkischen Zeitungen heute eine Strategie des
Vergessens.
Diese Einschüchterungs- und Züchtigungsmethoden haben
dazu geführt, dass nun die AKP-Regierung fast 90 Prozent der türkischen Medien
kontrolliert. Presse- und Meinungsfreiheit sieht wahrlich anders aus.
Die Rolle des Westens
Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit ist eine der
unsäglichen Traditionen der »modernen« Türkei, eines Landes, der einem
Zeitungs- und Parteienfriedhof gleicht. Verbote, Bombenattentate, extralegale
Hinrichtungen von JournalistInnen (laut einer Studie des Journalisten Necati
Abay wurden in den letzten 103 Jahren 115 JournalistInnen in der Türkei
ermordet), anhaltende Repressallien und Verhaftungen gehören zum Alltag von
JournalistInnen und kritischen Medien.
Die entwickelten kapitalistischen Länder spielten dabei
immer eine unrühmliche Rolle. Ihre Unterstützung und Zusammenarbeit war die
wichtigste Stütze der Herrschenden in der Türkei. Auch heute kann verfolgt
werden, wie der Westen, insbesondere die USA und die EU, durch ihre
Unterstützung die Pervertierung der bürgerlichen Demokratie in der Türkei möglich
machen. Dabei übernehmen sie auch, wie in der BRD zu sehen ist, auch die
Aufgabe des Vollzugsbeamten außerhalb der Türkei. Kurdische Medien werden auch
in Europa kriminalisiert und als Hort des »Terrorismus« stigmatisiert. Die
Bundesregierung scheut dabei auch nicht vor Maulkorberlassen zurück: dem
kurdischen Politiker Muzaffer Ayata, der in der Türkei jahrelang inhaftiert war
und in die BRD flüchten müsste, wurde nicht nur die politische Betätigung,
sondern auch journalistische Tätigkeit per Gerichtsbeschluss verboten.
Die demokratische Öffentlichkeit in Europa, insbesondere
unabhängige MedienmacherInnen stehen vor der Aufgabe, sich dieser Entwicklung
entgegen zu stellen. Der Einsatz für die Gewährleistung der Presse- und
Meinungsfreiheit in der Türkei bedeutet zugleich die eigenen Freiheitsrechte in
der BRD und in Europa zu verteidigen.
Wer angesichts der Berichte aus der Türkei weiter
schweigt, wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, mitschuldig zu sein.
Wer die Presse- und Meinungsfreiheit wirklich als ein hohes Gut ansieht und
verteidigen will, darf nicht weiter schweigen.
Was gemacht werden könnte, bedarf hier keiner weiteren
Erläuterung. Ein Blick in die Website »demokratiehintergittern.blogsport.de«
wird ausreichen.
Aus: Kurdistan Report