Mittwoch, 18. April 2012

Türkische Medien: Sprachrohr des Regimes

Über das freiwillige Ende der freien Presse in der Türkei

Die Presse- und Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut der Demokratie und die AKP-Regierung habe in den letzten neun Jahren nie dagewesene mutige Schritte in Sachen Pressefreiheit unternommen – so der türkische Premier Erdoğan auf einer Galaveranstaltung aus Anlass des 25 jährigen Bestehens der Tageszeitung »Zaman«.

Nun, sicherlich war die Veranstaltung des Flaggschiffs der islamisch-neoliberalen Gülen-Bewegung eine gute Bühne für den Premier. Widerspruch hatte er nicht zu erwarten. Von der Freiheit, im eigenem »Stall« zu sprechen ermuntert fand Erdoğan für verhaftete JournalistInnen in der Türkei nur verächtliche Worte: »Man führt gegen die Türkei eine Schmutzkampagne, in dem man Polizistenmörder, Frauenbelästiger und Putschbefürworter als Journalisten bezeichnet«.

Diese Begründung gehört zum Standartrepertoir der türkischen Regierung. Rund zwei Monate vorher, am 12. Oktober 2011 erklärte der EU-Minister Egemen Bağış vor der internationalen Presse: »In der Türkei gibt es keinen einzigen Journalisten, der wegen der Ausübung seines Berufes verhaftet wurde. Alle in dem Fortschrittsbericht erwähnten Journalisten wurden nicht wegen ihres Berufes, sondern wegen illegalen Tätigkeiten verhaftet«.
Wer’s glaubt, wird selig! Würde Mensch sich nur über die gängigen türkischen Medien informieren, hätte Mensch den Eindruck, dass die Türkei ein Musterbeispiel der Pressefreiheit ist. Doch die Realität sieht anders aus. Zahlreiche unabhängige Institutionen, so z.B. der Internationale PEN-Club oder die Organisation »Reporter ohne Grenzen« beziffern die Zahl der zu Unrecht inhaftierten JournalistInnen in der Türkei auf über 110. Auf der Liste der Pressefreiheit rangiert die Türkei damit auf Platz 148 von 179 Ländern.
Gleichschaltung der Medien und Feindstrafrecht
Vor diesen Realitäten können auch konservative europäische Institutionen nicht schweigen, die ansonsten AKP-freundlich agieren. So sieht z.B. die Konrad-Adenauer-Stiftung die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei besonders gefährdet.
Das kommt nicht von ungefähr: Seit ihrem Machteintritt hat die AKP-Regierung zahlreiche Instrumente zur systematischen Gleichschaltung der Medien eingeführt. Vor allem mit der Novellierung des Strafgesetzbuches in 2005 und den Änderungen im »Gesetz zur Terrorismusbekämpfung« wurde die Arbeit der kritischen JournalistInnen erheblich erschwert. Die Erdoğan-Regierung schreckt nicht davor zurück, gegen oppositionelle JournalistInnen das Feindstrafrecht anzuwenden.
Gegenwärtig sind fast 7.000 Internetseiten gerichtlich verboten. Gegen die Tageszeitung Özgür Gündem sind 550 Verfahren anhängig. Obwohl die Presse- und Meinungsfreiheit gesetzlich gewährleistet ist, wird sie durch Willkürjustiz und Feindstrafrecht ad absurdum geführt. So wird beispielsweise als Straftatbestand angesehen, »gegen die grundlegenden nationalen Interessen zu verstoßen«. Staatsanwälte mit Sondervollmachten definieren dann die »nationalen Interessen« und zerren kritische JournalistInnen vor Sondergerichte.
So wurden, insbesondere kurdische JournalistInnen mit dem Vorwurf, »Mitglied einer terroristischen Organisation zu sein« verhaftet. Nachrichten zu schreiben, über Missstände zu informieren oder über Massaker der Armee zu berichten, die von den gängigen Medien totgeschwiegen werden, reichen aus, um als »Terrorist« abgestempelt und mit dem Vorwurf, »terroristische Straftaten begangen zu haben, ohne Mitglied der Terrororganisation zu sein« verhaftet zu werden. Alleine 30 MitarbeiterInnen der Dicle Nachrichtenagentur, 12 der Zeitschrift Azadiya Welat und 12 JournalistInnen der Tageszeitung Özgür Gündem sind mit diesen Vorwürfen seit Monaten in Haft.
Einige JournalistInnen sind seit Jahren in Haft – ohne zu wissen, wessen sie beschuldigt werden, da die Anklage zur Geheimsache erklärt wurde.
Mit dieser Praxis versucht die AKP nicht nur die kurdischen bzw. linkssozialistischen Medien mundtot zu machen, sondern baut damit ein immenses Bedrohungspotential gegenüber jeglicher kritischer Berichterstattung auf. Der Premier spielt hier eine besondere persönliche Rolle.
Es gehört zu den fast alltäglichen Ritualen von Erdoğan, sich mit der kritischen Presse und JournalistInnen auseinander zu setzen. Insbesondere bei den Sitzungen der AKP-Fraktion im türkischen Parlament nimmt er nicht nur Zeitungen unter Beschuss, sondern namentlich genannte JournalistInnen, die kurz danach von ihren Arbeitgeberinnen fristlos entlassen werden. So erging es beispielsweise den renommierten Journalistinnen Nuray Mert, Ece Temelkuran oder der Fernsehmoderatorin Banu Güven. Selbst ehemals regierungsfreundliche Stimmen wie Mehmet Altan werden davon betroffen, wenn sie sich »unrühmlich« verhalten.
Einschüchterungs- und Züchtigungsmethoden
Erdoğan bedient sich bei seinem »Kampf« gegen die »AKP-feindliche Presse« meist auch den Medienunternehmen selbst. Wenn Medienunternehmen sich zu kritisch gegen die AKP-Regierung positionieren, werden sie zu Zielen von behördlichen Attacken. So bekam beispielsweise das größte Medienunternehmen der Türkei, die Doğan-Holding, deren einige Tageszeitungen und Fernsehsender über die Regierungsarbeit kritisch berichteten, 2010 eine Steuernachzahlungsaufforderung von nahezu 1 Milliarde Euro. Holdinginhaber Aydın Doğan war gezwungen sich von einigen seiner Tageszeitungen zu trennen, Firmenanteile zu verkaufen und MitarbeiterInnen zu entlassen.
Doch damit nicht genug: die zuständigen Ministerien wurden angewiesen, Firmen, die im Besitz von Aydın Doğan sind, bei staatlichen Ausschreibungen nicht mehr zu berücksichtigen. Genau das war für Doğan-Holding ein besonders harter Schlag, da sie in anderen Wirtschaftsbereichen, so z.B. im Energiesektor stark engagiert ist.
Die Drohung, bei staatlichen Ausschreibungen keinen Zuschlag zu bekommen oder die Angst, horrende Steuernachzahlungsaufforderungen zu erhalten wirken disziplinierend. Dennoch; das Ende der freien Presse in der Türkei ist auch freiwillig. Denn die gängigen Medien gehören großen Unternehmensgruppen, die in verschiedenen Wirtschaftszweigen tätig und auf staatliche Aufträge angewiesen sind. Die gängigen Medienunternehmen sind große Konzerne, die von der neoliberalen Politik der AKP-Regierung am meisten profitieren. Die Grenzen der Pressefreiheit in den gängigen Medien werden von den wirtschaftlichen Interessen der Konzerne definiert.
Daher ist nicht nur die staatliche Zensur, die die journalistische Arbeit erschwert, sondern auch die Selbstzensur der Redaktionen, die von den Zeitungsverlegern unter Druck gesetzt werden.
Im Oktober 2011 lud Erdoğan ausgesuchte Zeitungsverleger und Chefredakteure zu einem Treffen ein. Während dieses Treffens forderte er die Medien auf, ihre Berichterstattung auf »nationale Interessen« auszurichten und regierungskritische JournalistInnen zu entlassen. Nach diesem Treffen erklärte Erdoğan vor Fernsehkameras, dass er die Zeitungsverleger aufgefordert habe, »bei der Berichterstattung über die Bekämpfung des Terrors besondere Verantwortung zu zeigen«.
Wie diese »besondere Verantwortung« aussieht, konnte man nach dem Massaker von Roboski (Uludere) verfolgen. Ende Dezember 2011 wurden in Roboski 35 junge Kurden, die meisten Angehörige einer einzigen Familie, bei einem Bombenangriff der türkischen Armee getötet. Während kurdische Medien wie Roj TV oder die Nachrichtenagentur ANF binnen kurzer Zeit darüber berichteten, brauchten die türkischen Medien für erste zaghafte Berichte mehr als 9 Stunden – in diesem Informationszeitalter eine Ewigkeit. Doch danach begann die perfide Manipulation der Öffentlichkeit. Mit rassistischen Kommentaren wurden die Opfer zu Tätern gemacht und die Armee reingewaschen. Obwohl einige kritische Stimmen in den gängigen Medien zu hören waren, verfolgen die meisten türkischen Zeitungen heute eine Strategie des Vergessens.
Diese Einschüchterungs- und Züchtigungsmethoden haben dazu geführt, dass nun die AKP-Regierung fast 90 Prozent der türkischen Medien kontrolliert. Presse- und Meinungsfreiheit sieht wahrlich anders aus.
Die Rolle des Westens
Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit ist eine der unsäglichen Traditionen der »modernen« Türkei, eines Landes, der einem Zeitungs- und Parteienfriedhof gleicht. Verbote, Bombenattentate, extralegale Hinrichtungen von JournalistInnen (laut einer Studie des Journalisten Necati Abay wurden in den letzten 103 Jahren 115 JournalistInnen in der Türkei ermordet), anhaltende Repressallien und Verhaftungen gehören zum Alltag von JournalistInnen und kritischen Medien.
Die entwickelten kapitalistischen Länder spielten dabei immer eine unrühmliche Rolle. Ihre Unterstützung und Zusammenarbeit war die wichtigste Stütze der Herrschenden in der Türkei. Auch heute kann verfolgt werden, wie der Westen, insbesondere die USA und die EU, durch ihre Unterstützung die Pervertierung der bürgerlichen Demokratie in der Türkei möglich machen. Dabei übernehmen sie auch, wie in der BRD zu sehen ist, auch die Aufgabe des Vollzugsbeamten außerhalb der Türkei. Kurdische Medien werden auch in Europa kriminalisiert und als Hort des »Terrorismus« stigmatisiert. Die Bundesregierung scheut dabei auch nicht vor Maulkorberlassen zurück: dem kurdischen Politiker Muzaffer Ayata, der in der Türkei jahrelang inhaftiert war und in die BRD flüchten müsste, wurde nicht nur die politische Betätigung, sondern auch journalistische Tätigkeit per Gerichtsbeschluss verboten.
Die demokratische Öffentlichkeit in Europa, insbesondere unabhängige MedienmacherInnen stehen vor der Aufgabe, sich dieser Entwicklung entgegen zu stellen. Der Einsatz für die Gewährleistung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei bedeutet zugleich die eigenen Freiheitsrechte in der BRD und in Europa zu verteidigen.
Wer angesichts der Berichte aus der Türkei weiter schweigt, wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, mitschuldig zu sein. Wer die Presse- und Meinungsfreiheit wirklich als ein hohes Gut ansieht und verteidigen will, darf nicht weiter schweigen.
Was gemacht werden könnte, bedarf hier keiner weiteren Erläuterung. Ein Blick in die Website »demokratiehintergittern.blogsport.de« wird ausreichen.
Aus: Kurdistan Report