Donnerstag, 2. Februar 2012

Rechtspopulismus: Herrschaftsinstrument des Neoliberalismus

Referat auf der Konferenz »Rechte Gefahr aus der ›Mitte‹?«, Kassel, 4. Februar 2012
Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

ein Referat vorlesen zu lassen ist eigentlich ungewöhnlich, aber leider der Tatsache geschuldet, dass meine Teilnahme an einer internationalen Konferenz, was für den Sonntag, den 5. Februar vorgesehen war, auf den 4. Februar vorgezogen wurde. Es tut mir leid, dass ich nicht persönlich anwesend bin, weshalb ich mich bei euch entschuldigen will. Ich bin daher Frank Habermann dankbar, dass er diese Aufgabe übernommen hat. Nun zum Thema:
Es geht ein Gespenst um in Europa – nein, nicht das kommunistische, sondern das Gespenst eines, die soziale Frage ökonomisierenden, kulturalisierenden, ethnisierenden und biologisierenden Rassismus, der wie ein Pesthauch die bürgerlichen Gesellschaften Europas vergiftet. Überall in Europa ist zu beobachten, wie rassistische und rechtspopulistische Parteien und Bewegungen in Parlamente einziehen und mit ihren Wahlerfolgen die etablierten bürgerlichen Parteien zum »Tabubrechen« bewegen. Auch in Deutschland sind sarrazinische Eliten dabei, die Grundwerte der europäischen Moderne, nämlich die der Aufklärung, der Gerechtigkeit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit für einen Teil der Bevölkerung hinfort zu tilgen.

Doch vorher sollten wir uns der Begrifflichkeit annehmen.

Was verstehen wir unter Populismus? Duden bezeichnet den Populismus als »von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen«. Eine, teilweise zutreffende, aber von der politischen Kategorisierung europäischer Diskussionen beeinflusste Bezeichnung.

Dabei geht der Begriff des Populismus auf eine US-amerikanische Farmerbewegung zurück. Ende des 19. Jahrhunderts wandten sich US-Farmer gegen die Vorherrschaft des Großkapitals und setzten sich für eine Politik billiger Kredite, für landwirtschaftliche Genossenschaften sowie für plebiszitäre Demokratie ein. 1892 entstand aus dieser Bewegung die »People’s Party«, die besonders im mittleren Westen der USA besonderen Anklang fand.

Während in frühen 20. Jahrhundert in Osteuropa populistische Bauernbewegungen entstanden, die starke ideologische Nähe zum Faschismus aufwiesen, kamen in den 1930er Jahren in Lateinamerika Bewegungen an die Macht, die als »urban-populistisch« bezeichnet wurden. Getulio Dornelley Vargaz (†1954) in Brasilien und Juan Domingo Peron Sosa (†1974) in Argentinien profilierten sich mit einer Umverteilungspolitik zugunsten der unteren und mittleren Einkommensschichten. Sie hatten die Potentiale der Binnenmigration gesehen und nutzen diese für ihre Machtpolitik.

Seit 1980 ist der Begriff des Populismus in Westeuropa eine negativ besetzte politische Kategorie. In der Regel wird der Populismus-Vorwurf als ein politischer Kampfbegriff benutzt, um den »politischen Gegner« zu stigmatisieren. Auch aus diesem Grund gehen die Meinungen in den Diskussionen der Politikwissenschaft stark auseinander. Einige WissenschaftlerInnen sind der Meinung, dass der Populismus ein »Stilmittel«, also Politikstil und Agitationsform sei. Der Begriff müsse als »politisches Syndrom charakterisiert werden, dem keine politische Ideologie bzw. Programmatik unterlegt werden dürfe«. Diese Darstellung findet sich meistens im liberalen und konservativen Diskurs, was meines Erachtens irreführend ist und im Endeffekt für eine vermeintliche Gleichstellung von »Links- und Rechtspopulismus« dient.

Natürlich findet man auch innerhalb der linken Diskussionen »Unten- und Oben-Darstellungen« oder Aussagen wie »Bevölkerungsmehrheit gegen machtgierige, korrupte Eliten«, welche auch von Rechtspopulisten benutzt werden. Und sicherlich ist es zutreffend, dass Teile der gesellschaftlichen wie politischen Linken, aus rein pragmatischem Denken heraus oder um die Agitation zu vereinfachen, verkürzte Darstellungen oder plakative Aussagen benutzen. Doch der Identitätskern des Rechtspopulismus, was in der Regel fremdenfeindlich und rassistisch ist, kann mit den universalistischen Werten sowie dem Verständnis von sozialer Gerechtigkeit, Frieden und weitgehendster Demokratie der Linken, die (in der Regel) aus der Klassenperspektive heraus handelt (oder handeln sollte) nicht gleichgesetzt werden. Die Versuche der bürgerlichen Parteien und konservativ-liberalen Eliten, Linke mit Rechtspopulisten gleichzusetzen, ist nichts anderes als Demagogie. Um diese Gleichsetzung mit wissenschaftlichen Methoden zu unterfüttern, muss man die Wissenschaft ganz schön biegen.

Ich vertrete jedenfalls die Auffassung, dass der Rechtspopulismus eine radikalrechte politische Strömung ist, dessen Rahmenbedingungen vom Neoliberalismus gestellt werden und als eine Strategie fungiert, mit der eine Gegenmacht und möglicher Widerstand gegen die neoliberale Hegemonie verhindert werden soll. Die Sarrazin-Debatte in Deutschland zeigt, dass sie damit auch Erfolg haben, denn mit rechtspopulistischen Thesen wird versucht, den öffentlichen Diskurs des demokratischen Parlamentarismus nach rechts zu bewegen und im Ergebnis die »Agenda 2010 – Politik« zu verschärfen.

Themen und Strategien der Rechtspopulisten

Doch zuerst sollten wir uns auf die Themen und Strategien der Rechtspopulisten konzentrieren, um nachvollziehen zu können, wie dieses Herrschaftsinstrument funktioniert. Die Politikwissenschaft ist sich einig, dass sich die Rechtspopulisten in ganz Europa, trotz Unterschiede drei wichtige Themen in das Zentrum ihrer politischen Propaganda setzen. Das erste ist die Kritik am Multikulturalismus. Die Migration wird als Gefahr für die »homogene Verfasstheit der Gesellschaft« angesehen. Den MigrantInnen wird »Integrationsunfähigkeit bzw. Integrationsunwilligkeit« vorgeworfen und es wird ein Zusammenhang mit der Kriminalität und Migration hergestellt. Durch die Stigmatisierung der MigrantInnen wird die Frage nach der inneren Sicherheit gestellt und die Forderung »kriminelle Ausländer ausweisen« begründet.

Zweitens wird die Globalisierung thematisiert. Insbesondere die aktuelle Eurokrise wird dazu genutzt, um die Kritik an der EU-Erweiterung zu begründen und die Schuld an der Krise den ärmeren Ländern aufzubürden. Gleichzeitig wird die Globalisierung bzw. EU-Erweiterung dazu genutzt, um eine »Gefahr des Identitätsverlustes« hochzustilisieren.

Drittens wird die Politikverdrossenheit der Bevölkerung und der Vertrauensverlust der etablierten Politik thematisiert, um die Propaganda »die korrupten Eliten vertreten die Interessen des Volkes nicht mehr« zu unterfüttern. Sicherlich sind diese Themen nicht aus der Luft gegriffen, aber für die Rechtspopulisten dienen sie als Mittel zum Zweck.

Das Recht auf Meinungsfreiheit oder die Forcierung von Formen der direkten Demokratie werden von Rechtspopulisten dazu genutzt, um undemokratische Formen durchzusetzen. Die Rechtspopulisten stellen sich dabei als Verteidiger der Demokratie sowie des »Volkswillens« dar und finden Befürworter und Wählerpotential in unteren Schichten, aber auch in den Mittelschichten – besonders innerhalb von Gruppen, die von den Modernisierungsprozessen betroffen sind und sich unter Druck gesetzt fühlen.

Trotz regionaler und länderspezifischen Unterschiede haben alle rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen in Europa viele Gemeinsamkeiten in Themen und Strategien, so z.B.:
•    Ablehnung der EU (Europa ja, EU Nein!)
•    Nationale bzw. völkische Selbstbestimmung / ethnisch-kulturelle Homogenisierung
•    Verteidigung des »christlich-jüdischen Abendlandes« gegen den Islam / Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei
•    Rückschrittliche Ehe- und Familienvorstellungen / Homophobie bei gleichzeitigen Forderungen nach mehr Rechten für Frauen und männliche Homosexuelle in islamischen Ländern
•    Verbindung der Themen Zuwanderung und Kriminalität / Forderung nach Law-and-Order-Politik
•    Wohlstandschauvinismus / Forderung nach repressiven staatlichen Handeln gegen MigrantInnen und SozialhilfebezieherInnen
•    Einfache, aber radikale Lösungen und Verschwörungstheorien.

Für diese Themen nutzen sie auch die vorhandenen Krisen. Z.B. die Verteilungs- und Zugangskrise: hier ist ihre Strategie relativ einfach – die soziale Frage wird in eine nationale Frage umgedeutet. »Sozialschmarotzer« oder »Ausländer plündern unsere Kassen aus« sind die gängigen Parolen. Fremde werden als Nichtdazugehörige stigmatisiert und Arme (»faule Sozialhilfeempfänger«) werden als Sündenböcke für gesellschaftliche Probleme und Unsicherheiten dargestellt.
Beispiel Repräsentationskrise der Politik: Hier werden Institutionen und Eliten der bürgerlichen Demokratie in Frage gestellt. Es findet eine Abgrenzung zwischen den »Fleißigen, schweigenden Mehrheit« und den »machtgierigen, unsozialen und korrumpierten politischen Klasse« statt. Dem gegenüber stellen sie sich selbst als Ausdruck des »wahren Volkswillens« dar.

Oder die Identitätskrise: Dieser Krise wird die nationale bzw. ethnische Zugehörigkeit als exklusives nationales Kulturgut entgegengestellt, welches gegen »fremde Einflüsse zu verteidigen« sei. Die »Durchrassung« der Gesellschaft durch die Multikulturalität und Islam wird kritisiert, Einheimische werden als Opfer stilisiert. So nutzen Rechtspopulisten die Emotionalisierung für die Politisierung ihrer Anhängerschaft.

Umfragen zeigen, dass die ideologisch-programmatischen Themenkerne der Rechtspopulisten in der bundesdeutschen Bevölkerung hohe Zustimmungswerte, von Teilweise über 50 Prozent erhalten. Laut einer Umfrage von Wilhelm Heitmeyer (»Deutsche Zustände«) existiert ein harter Kern von rechtspopulistischem Potential bei rund 19 Prozent. Generell tendiert dieser Kern jedoch entweder zur Wahl von CDU/CSU oder Nichtwahl. In den neuen Bundesländern, wo der Anteil von »Ausländern« relativ niedrig ist, sind hohe Zustimmungswerte auch bei der Wählerschaft der LINKEN festgestellt worden. Im Allgemeinen sehen sich Deutsche mit rechtspopulistischen Einstellungen in der gesellschaftlichen Mitte.

Ergebnis des neoliberalen Projekts

Es stellt sich immer wieder die Frage, wie es dazu gekommen ist, dass Positionen, die noch vor 20 Jahren außerhalb des demokratischen Konsens der bürgerlichen Gesellschaft angesehen wurden, heute derart Salonfähig wurden und von der etablierten Politik, Teilen der Wissenschaft und den gängigen Medien als »durchaus nachvollziehbare, empirisch belegte Tatsachen« dargestellt werden. Inzwischen sind wir so weit, dass auch innerhalb der etablierten politischen Kräfte gesellschaftliche Verhältnisse nur nach Kosten-Nutzen-Erwägungen beurteilt und arme Menschen sowie (muslimische) MigrantInnen zur Ausschlusspopulation erklärt werden.

Christoph Butterwegge erklärt die hohe Zustimmung in der gesellschaftlichen Mitte, aus denen ja die bürgerlichen Parteien des neoliberalen Blocks ihre Wählerpotentiale schöpfen, mit der Sinnkrise des Sozialen. Dazu zählt er folgendes: 1.) Ökonomisierung des Sozialen. Sozialstaat wird in seiner Eigenwertigkeit nicht mehr anerkannt, sondern soll sich nach Nützlichkeitskriterien umbauen und so sich im Rahmen des Wirtschaftsstandortes positionieren. 2.) Kulturalisierung des Sozialen. Die Zugehörigkeit zur Gesellschaft wird nicht mehr über die Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu einer bestimmten Klasse, Schicht oder Gruppe definiert, die gemeinsame Interessen haben, sondern nach kulturellen Übereinstimmungen, also gemeinsamer Sprache, Religion und Tradition. Das sei übrigens auch der Grund, warum sich Widerstand gegen diese Entwicklung nur schwer artikulieren und organisieren könne. 3.) Ethnisierung des Sozialen. Nach Butterwegge ist das ein Bestandteil der politischen Kultur. Das Soziale wird in der Mitte der Gesellschaft ethnisiert. Soziale Hintergründe fallen nicht mehr an. Die Stigmatisierung »der Anderen« bewirkt die Konstituierung einer nationalen »Volksgemeinschaft«. »Deutsche zuerst« laute der Slogan, der solche Vorstellungen genau wie »Ausländer raus« Parolen im Massenbewusstsein verankere. Und 4.) Biologisierung und Naturalisierung des Sozialen. Gesellschaftlich bedingte Verhaltensweisen würden heute immer häufiger an den Genen festgemacht. Dabei spiele der Demografie-Diskurs eine Schlüsselrolle. So rücke mit dem demografischen Wandel die Humanbiologie ins Zentrum der Gesellschaftspolitik und entscheide quasi naturwüchsig, wie ein naturgesetzlicher Sachzwang, über Rentenhöhen und darüber, wie Sozialleistungen bemessen werden.

Butterwegge ist zuzustimmen, dass diese Grundtendenzen den Rechtspopulismus fördern. Doch Butterwegge durchleuchtet deren Hintergrund nicht gänzlich, was meines Erachtens der neoliberale Projekt ist. Hier sollten wir daher einen kurzen Rückblick wagen.

Schon Anfang der 1980er Jahre begannen die systematischen Angriffe für einen Paradigmenwechsel. Mit der »geistig-moralischen Wende« der Kohl-Regierung begann die Werterestauration. Die »Schickalsgemeinschaft deutsche Nation« wurde mit den Werten des Fleißes, Ordnung, Familie, Produktivität und der »Tugend des Verzichtes für die Firma« in Verbindung gebracht.
Die Sozialwissenschaftlerin Katrin Reimer spricht in diesem Zusammenhang von 3 Perioden des neoliberalen Projekts, die für die Entfaltung des Rechtspopulismus die Rahmenbedingungen geschaffen haben. Diese unterschieden sich in Bezug auf Hegemonieverhältnisse.

Reimer zählt folgendes auf: Phase 1: Kohl-Thatcher-Reagan-Ära. Dabei ging es um die Schwächung der kollektiven Rechte und man versuchte die Kräfteverhältnisse aufzubrechen. Während in Deutschland diese Aufgabe die Kohl-Regierung übernahm, waren europaweit rechtspopulistische Parteien dabei, den Paradigmenwechsel herbeizuführen. Die Prekarisierung der Lohnarbeit nahm zu. Im Gegenzug wurde z.B. in Deutschland die fremdenfeindliche Stimmung geschürt. Neonaziangriffe, Morde wie in Solingen, Mölln und Hünxe, der Asylkompromiss und Aufwind für rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien waren die Folge.

Phase 2: Sozialdemokratisches Zeitalter. Obwohl die SPD im Wahlkampf ihren Schwerpunkt auf die soziale Gerechtigkeit gesetzt hatte, änderte Rot-Grün innerhalb weniger Monate ihre Politik. Zu dieser Zeit gab es eine hohe Zustimmung für die Verallgemeinerungen des Neoliberalismus. Dennoch gab es auch Kämpfe im neoliberalen Block. Während Rot-Grün für die doppelte Staatsangehörigkeit und Einführung einer »Greencard« war, stellten sich CDU/CSU und FDP dagegen. 1999 war das Jahr, in der einer der wichtigsten Tabubrüche, nämlich der erstmalige Auslandseinsatz der Bundeswehr beschlossen wurde (Kosovo Krieg). In dieser Phase begann der Lissabon-Prozess der EU, Militarisierung und neoliberaler Umbau wurde beschleunigt. Mit den Angriffen am 11. September 2001 verfestigte sich der »Kampf der Kulturen« und der Islam wurde als eine Bedrohung empfunden. Hartz-Gesetze wurden umgesetzt.

Phase 3: Die Phase dauert heute noch an. Die Prekarisierungsfolgen sind für viele Menschen sehr negativ. Die sozialen Ungleichheiten verstetigen sich, die Mehrheitsgesellschaften sind durch die Erosion sozialstaatlicher Errungenschaften traumatisiert. Der Arbeitsmarkt ist weitgehend flexibilisiert, negative Lohnentwicklung dauert an, die Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechtern sich. Die Angst, in die Unterschichten zu fallen und dort zu verharren veranlasst Mittelschichten sich nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Globale Krisen und deren Unsicherheiten führen zu Ängsten. Die Meritokratisierung der sozialen Frage, also Leistung und Einsatz eines jeden Einzelnen für den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen wird hingenommen. Die Angstgesellschaft ist anfällig für Bedrohungsszenarien.

In dieser letzten Phase ist zu beobachten, dass die Parteien des neoliberalen Blocks kaum mehr voneinander zu unterscheiden sind. Während in der Union die »Sozialdemokratisierung« beklagt wird, zeigen sich die SPD und Die Grünen als kriegstreibende Kräfte – so z.B. im Libyenkrieg. Die Mehrheitsgesellschaften akzeptieren Krieg als Mittel der Politik und befürworten mehrheitlich die Interventionen des Westens. Die Nutznießer dieser Entwicklung sind Rechtspopulisten.
In dem Erfolg der Rechtspopulisten bildet sich nicht nur die Angst der Mittelschichten ins Prekariat abzustürzen, sondern auch die Angst des Westens vor dem Verlust der Hegemonie gegenüber dem Rest der Welt. So gesehen kann behauptet werden, dass die sarrazinischen Eliten und die Rechtspopulisten nichts Originäres von sich geben, sondern geschickt die in der Mehrheitsgesellschaft vorhandene Auffassungen miteinander verbinden und für gesellschaftliche Polarisierung nutzen. Sie knüpfen an die Globalisierungsdiskussion, Migrations- und Desintegrationsdiskurse, Sozialstaatsdiskurse und Demografiediskurse. Dabei waren die Eliten des neoliberalen Blocks maßgeblich an den Ursachen der Arbeitslosigkeit, Armut, Steuerungerechtigkeit u.v.a.m. beteiligt.

Neoliberalismus und Rechtspopulismus sind jeweils die eine Seite derselben Medaille. Der Rechtspopulismus hat sich zum Herrschaftsinstrument des Neoliberalismus entwickelt, mit der nicht nur die Widerstandspotentiale in der Bevölkerung gebrochen werden, sondern die Akzeptanz der herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse als Gottgegeben verfestigt und imperialistische Interventionskriege als Notwendigkeit für den Erhalt der Freiheiten und der Demokratie des Westens hingenommen werden.

Die erhöhte Anfälligkeit der europäischen Mehrheitsgesellschaften für die Propaganda des »Krieges gegen Terror«, »Kampf gegen Islamisierungsgefahren« oder »Kriege für die Sicherstellung der Menschenrechte und der Demokratie«; die Verankerung von rassistischen Ressentiments und des Wohlstandschauvinismus in der gesellschaftlichen Mitte sowie der Erfolg von Thilo Sarrazin sind die Ergebnisse eines solchen Entwicklungsweges.

Der Rechtspopulismus ist zudem ein Instrument zur Wiederverallgemeinerung des neoliberalen Projekts. Denn gleichzeitig wird der Rechtspopulismus dazu genutzt, um die Peripherie der EU zum demokratiefreien Zone umzubauen. Während beispielsweise in Ungarn eine rechtskonservative Regierung jegliche demokratische Standards abschafft (ohne die Unterstützung Kerneuropas wäre dies nicht möglich), werden wie in Griechenland und Italien Technokraten-Regierungen ohne demokratische Legitimierung installiert. Der Widerstand der Bevölkerungen dagegen wiederum, wird mithilfe von rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen entsolidarisiert und gespalten. Neoliberale Eliten und die Kapitalfraktionen sind dabei, die bürgerlichen Demokratien zu entkernen – und dies im Namen der »Demokratie«.

Gegenstrategien

Gesellschaftliche wie politische Linke und demokratische Kräfte müssen sich der Frage stellen, welche Gegenstrategien geeignet sind, um dieser Entwicklung wirkungsvoll entgegentreten zu können. Patentrezepte gibt es wohl nicht, doch das Stellen der Demokratie- und Eigentumsfrage dürfte erfolgversprechend sein. Dabei müssen wir, gerade in Deutschland, mit dem Problem, dass rassistische Ressentiments und die Kulturalisierung der sozialen Frage auch innerhalb der linken Milieus Einzug gefunden haben, umgehen lernen. Die alleinige Forcierung auf den rechten Rand wird die vorhandenen Positionen in der gesellschaftlichen Mitte vernebeln. Wenn die Kulturalisierung und Ethnisierung der sozialen Frage Alltagsmächtig sein sollte (Richard Gebhardt), dann wird es sehr schwer sein dagegen vorzugehen. Daher wird es notwendig sein, die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus vor Ort, beginnend mit den linksaffinen Alltagsmilieus, landes- und europaweit mit dem Kampf gegen den Neoliberalismus und mit dem Hinterfragen der herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse zu verbinden.

Ohne einen kapitalismuskritischen Inhalt wird der Kampf gegen rechts erfolglos bleiben. Das ist die Herausforderung, die sich die Linke zustellen hat.