Oder; wie die
hässliche Fratze der bürgerlichen Reaktion wieder die europäische Bühne
betritt.
Wie erhofft
- oder besser gesagt, geplant -, hat die
von langer Hand vorbereitete und längst verbreitete Rede des britischen
Premiers David Cameron die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit auf
sich gezogen. Bürgerliche Medien kündigten seit Tagen diese Rede an und
schürten so Spekulationen über einen »möglichen Austritt Großbritanniens aus
der EU«. Es entstand das Bild der sorgenvoll nach London blickenden
europäischen Hauptstädte. Doch, hatte Cameron nur das bezweckt?
Zu
allererst sollte Camerons medial zur Schau gestellte Jammern über die EU als
das bewertet werden, was es ist: als Versuch eines innenpolitisch motivierten
Befreiungsschlags – auch wenn ein riskanter, aber wohl überdachter Schachzug.
Dabei ist es nicht nur den Insidern der EU-Strukturen bekannt, dass ein Großbritannien,
trotz vieler Euroskeptiker im Land, ohne eine EU-Mitgliedschaft kaum
vorstellbar ist, aber »Downing Street« - wer auch dort residieren mag – stets vorgibt,
eine vom Kontinent unabhängige Politik zu verfolgen und Großbritannien im
transatlantischen Bündnis eher auf der Seite der USA, als auf Seiten der EU
steht.
Die
erpresserische Botschaft seiner Rede begründet Cameron mit der Notwendigkeit
von »Neuverhandlungen für die Reformierung der EU« und mit seinem Wunsch nach
einem »wettbewerbsorientierteren, flexibleren, subsidiären, demokratischeren
und faireren EU«. Doch wie eine EU, die noch »wettbewerbsorientierter« und noch
»flexibler« sein soll, als sie schon heute ist, zugleich noch »demokratischer«
werden kann, bleibt sein Geheimnis.
Das
Eigentliche, was Cameron will, also seine innenpolitische Intention, kann aus
seiner Drohung, ein »In-Out-Referendum« durchzuführen, herausgelesen werden.
Wenn denn er bis dahin Premierminister bleiben sollte, so seine Aussage, sollen die Briten 2017 die Frage »Wollt ihr
die EU verlassen oder wollt ihr weiterhin Mitglied bleiben?« beantworten. Es
ist mehr als offensichtlich, dass er damit eine bessere Ausgangslage für die
Wiederwahl in 2015 schaffen möchte. Im Grunde genommen schlägt Cameron mit der in
Aussichtstellung eines möglichen Referendums zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum
einen bringt er die Euroskeptiker und Eurogegner auf seine Seite, zum anderen
aber zwingt er dadurch seinen Kontrahenten Miliband, der wohl die gleichen
Statistiken liest, zu einer gleichen Positionierung, wodurch er aufzeigen kann,
dass er das »Original« und Miliband nur der »Nachahmer« ist.
Die klare
Reaktion des britischen Kapitals auf die Rede offenbart die gemeinsamen
Intentionen: »Für die britische Wirtschaft ist ein Verbleib Großbritanniens in
der EU im langfristigen Interesse. Aber die EU muss reformiert werden«, so der
Vorstandsvorsitzende der britischen Versicherung Prudential, Tidjane Thiam in
der FAZ vom 24. Januar 2013. Da es zu der unseligen Tradition bürgerlicher
Parteien in Europa gehört, stets in Krisen- bzw. Wahlkampfzeiten über die
»Brüsseler Bürokratie« zu lamentieren, reagierten Brüssel, Berlin und Paris
geradezu beschwichtigend auf die Rede, was wiederum ein Beleg für die
innenpolitische Ausrichtung und nationalistische Kleinkariertheit von Camerons Ausführungen liefert.
Das
Eigentliche, was sich im Schatten der medialen Diskussion verbirgt, ist nichts
anderes als die Tatsache, wie gemütlich sich die bürgerliche Reaktion
inzwischen unter dem Dach der EU eingerichtet hat. Camerons Forderungen nach
der Reformierung der EU, seine Hinweise auf mehr Wettbewerbsorientierung, mehr
Flexibilität und Bürokratieabbau sollten gelesen werden als Forderungen nach
einem weitergehenden neoliberalen Umbau der EU, in der die unveränderbare Regel
des Kapitalismus, die nichtlegitimierte Zentralisierung vorangetrieben, der
Nationalstaat als Instrument der Ausbeutung gefestigt, die Unterordnung der
ärmeren EU-Mitgliedsstaaten sowie der EU-Peripherie ins Beton gegossen und die
Herrschaft des Kapitals als Gottgegeben akzeptiert werden soll.
Einen
weiteren Beleg für diese reaktionäre Tendenz der europäischen Bourgeoisie
liefern die Entwicklungen in den übrigen EU-Ländern. Die rechtspopulistischen
Bewegungen und Parteien in Europa, das Ausufern der tschechischen, polnischen
oder ungarischen Nationalismen, das Bestreben der Katalanen, mit der
Unabhängigkeit sich den übrigen ärmeren spanischen Regionen zu entledigen, der
Separatismus in Norditalien, die Roma- und Judenfeindlichkeit in den ost- und
südosteuropäischen Staaten und letztlich, der in der Mitte kerneuropäischer
Gesellschaften verankerte Rassismus und Wohlstandschauvinismus – in ihrer
Gesamtheit sind sie nur ein Ausdruck der bürgerlichen Reaktion in Europa.
Was uns von
den neoliberalen EU-Eliten und von der bürgerlichen Reaktion als
»Demokratisierung«, »Europas Vielfalt«, »Subsidiarität« und »Reformen zur
Bürokratieabbau« dargeboten wird, ist nichts geringeres als die hässliche
Fratze der kapitalistischen Herrschaft im Gewand der bürgerlichen Reaktion, die
sich in den Entscheidungsmechanismen der EU eingenistet hat.
Aus der
Perspektive der arbeitenden Klassen und der Unterdrückten, und im Sinne ihrer
Interessen kann daher die grundsätzliche Losung nicht »Rückkehr in die
Nationalstaatlichkeit« sein, sondern muss die Forderung nach einer Europa, wenn
nicht nach einer Welt sein, in der die weitgehendste Demokratisierung,
weitverbreitete höchste soziale Standards, die bestmöglichste ökologische
Nachhaltigkeit, die weiteste demokratische Kontrolle der Wirtschaft, Ethnien-
und Geschlechtergerechtigkeit, die Zurückdrängung des Militarismus und der
imperialistischen Machtpolitiken sowie die demokratische Autonomie als Form der
direkten, ungehinderten Volksherrschaft verwirklicht werden. Die einzig
angemessene Antwort auf die bürgerliche Reaktion kann nur die Forderung nach
echtem Selbstbestimmungsrecht der arbeitenden Klassen und der Unterdrückten
sein.
Ohne Frage;
die gegenwärtigen Kräfteverhältnisse und Bedingungen in Europa lassen eine
solche Forderung als zu utopisch erscheinen. Dennoch, die gesellschaftliche und
politische Linke in Europa steht vor der historischen Herausforderung, ihr
Bestreben um die sofortige Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der
Menschen, ihre Reformbemühungen in diesem Sinne und ihren Kampf um
parlamentarische wie außerparlamentarische Mehrheiten auf die Grundlage dieser
Forderung zu stellen und aus der Perspektive der Interessenvertretung
unterdrückter und ausgebeuteter Menschen heraus zu gestalten. Jede kommunal-,
landes-, bundes- oder europapolitische Tätigkeit, jede betriebliche oder
gesellschaftliche Auseinandersetzung und jedes Streiten um Demokratiesierung,
Gerechtigkeit und um ein besseres Leben wird zum Scheitern verurteilt sein, wenn
sich Linke von dieser grundsätzlichen Perspektive entfernen würden.
Es ist
genau diese Tatsache, was uns Linken eine Rede wie von David Cameron ins
Gedächtnis rufen sollte.