Heute Morgen wurde bekannt, dass die PKK-Mitbegründerin
Sakine Cansiy, die Vertreterin des Kurdischen Nationalkongresses Fidan Dogan
und die kurdische Aktivistin Leyla Sönmez, gestern Abend im Pariser Büro einer
kurdischen Organisation umgebracht wurden. Die Umstände der Tat machen
deutlich, dass dies ein geplanter und von langer Hand geplanter Mord war.
Noch ehe französische Behörden etwas erklären konnten, begannen die türkischen Medien die PKK selbst mit den Morden zu bezichtigen. Dies, die Erklärung von AKP-Vize Ömer Celik, dass »es eine organisationsinterne Abrechnung« sein könne, der »das Ziel hat, den (Friedens-)Prozess zu sabotieren« sowie von verschiedenen türkischen Tageszeitungen fabrizierten »Provokation«-Berichte deuten m. A. n. auf eine koordinierte Berichterstattung hin. Ich persönlich bin der Auffassung, dass diese Morde von langer Hand geplant wurden und auf eine neue Ära der Eskalation in der kurdischen Frage hinweisen.
Warum? Als erstes ist zu fragen, »Qui bono?«, also wem zu
nutze. Doch vorher muss ich bemerken, dass ich es für ausgeschlossen halte,
dass Mitten in Europa, wo kurdische Institutionen und Persönlichkeiten von
Geheimdiensten usw. nahezu 24 Stunden unter Beobachtung stehen, eine solche Tat
unbeachtet passieren könnte. Daher ist es notwendig, dass die europäischen
Regierungen, allen voran die französische, aber auch die deutsche Regierung,
alles daran setzen müssen, ja es von ihnen verlangt werden muss, diese Tat so
schnell wie möglich aufzuklären. Ansonsten werden sie sich den Vorwurf der
Mittäterschaft gefallen lassen müssen, was ggf. zu emotionalen Reaktionen der
KurdInnen in Europa führen könnte.
Die kriminologische Anamnese der türkischen
Entscheidungsträger zeigt, dass der türkische Staat sowohl in der nahen als
auch fernen Vergangenheit, kriminelle und faschistisch-nationalistische
Elemente und Geheimorganisationen für die Exekution von Oppositionellen gut zu
nutzen wusste. Die extralegalen Hinrichtungen der letzten Jahrzehnte in der
Türkei sowie die Exekutionen von Mitgliedern der armenischen Terrororganisation
ASALA in der Vergangenheit deuten darauf hin, dass die möglichen Auftraggeber
der neuesten Morde in der Türkei sind. Zudem ist sehr Suspekt, wie die AKP,
noch bevor der französische Innenminister etwas verlautbaren ließ, einfach die
These von der »innerorganisatorischen Abrechnung« bekannt gegeben hat.
Ich persönlich glaube daran, dass hinter dieser Tat die
Doppelstrategie des »AKP-Staates« steht. Mit diesen Morden wurde Öcalan, mit
dem man z. Zt. verhandelt und der kurdischen PKK ein direktes Signal gegeben.
Erst kürzlich hatte Premier Erdogan erklärt: »Wir werden euch überall dort
finden, wo ihr auch seid«. Zwei Tage später wurden in Lice, nahe Diyarbakir 10
kurdische Guerillas getötet und nun diese 3 Frauen, unter Ihnen die einzige
PKK-Mitbegründerin Sakine Cansiz.
Meines Erachtens nach beinhaltet diese Doppelstrategie
auf der einen Seite die Tatsache, dass die physischen Vernichtungsversuche mit
neuen Methoden fortgeführt werden und auf der anderen Seite, zum einen der
türkischen Öffentlichkeit vorgegaukelt wird, »man wolle doch den Frieden und
verhandele deshalb mit Öcalan«, zum anderen aber, mit Verhandlungstaktiken
darauf gearbeitet wird, die kurdische Bewegung klassen- und nationalismusmäßig
zu spalten. Ich denke auch, dass wir uns auf neue Morde vorbereiten müssen.
Grundlage dieser Doppelstrategie ist die militarisierte
und auf regionalimperialistische Ziele orientierte neue Außenpolitik der
Türkei. Die Investitionen des erstarken türkischen Kapitals, Ansprüche, einen
großen Teil an der Neuordnung des Nahen Ostens abbekommen zu können und die
unmittelbare Verbindung zu Strategien der NATO - selbst wenn auch
Interessenwidersprüche bestehen - benötigen ein Vorgehen, mit dem im inneren die
starke kurdische Opposition marginalisiert und die türkisch-sunnitische
Mehrheitsbevölkerung mit islamisch-nationalistischen Referenzen für die neue
Außenpolitik gewonnen wird.
Kurzum, die Pariser Mordanschläge sind der Bote einer
neuen Eskalationsstufe. Es wird von den demokratischen Kräften der Türkei,
allen voran von den legalen wie illegalen Teilen der kurdischen Bewegung und
deren nüchternen Bestehen auf einer wirklichen Demokratisierung des Landes
abhängen, ob diese Eskalationsstufe zurückgedrängt werden kann oder aber, wir,
wie vor 1915, uns auf eine schwere Zeit einzustellen haben.
Die europäische Linke ist jetzt gefordert, auf die Bühne
zu treten und noch stärker als bis jetzt, sich für die Freilassung Öcalans mit
dem Ziel, die Bedingungen für die Befriedung des kurdisch-türkischen Konflikts einzusetzen.
Wegducken gilt nicht!