Mittwoch, 13. August 2014

Das Armutszeugnis

Nun endlich werden auch prominente Namen der deutschen Linken auf die Brutalität des Terrornetzwerkes »Islamischer Staat« (IS) aufmerksam. Doch diese Aufmerksamkeit offenbart auch das Armutszeugnis einiger Meinungsführer innerhalb der linken. So fordert der Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Gregor Gysi, dass »Deutschland den Kurden Waffen liefern« solle.

Jene, die mit den Ezidis mitfühlen, die in die Sengal-Berge geflüchtet sind und große Schmerzen erleiden, ,haben wahrscheinlich das gute Glauben in dieser Forderung gesehen bzw. sehen wollen. Natürlich ist es eine dringende Aufgabe, die mehr als 40 Tausend Menschen, die vor der mittelalterlichen Brutalität der IS flüchten, zu schützen und diese unglaubliche Bedrohung vollständig zu beseitigen. Ob aber diese Notwendigkeit, mit der Forderung »den Kurden« - hier meint Gysi die Barzani-Kräfte - »Waffen zu liefern« verwirklicht werden kann, ist höchst zweifelhaft.
Nicht zu bezweifeln ist, dass Gregor Gysi über ausreichende Informationen verfügt. Er ist ein intelligenter Politiker, der zudem engen Kontakt zu mehreren Fraktionsmitgliedern hat, die die Region sehr gut kennen und öfters vor Ort waren. Die Frage hier ist, ob Gregor Gysi einige Fakten durcheinander gebracht hat bzw. falsch informiert wurde, oder er mit seiner Forderung etwas anderes im Sinn hat. Es täte sicherlich gut, hier die Fakten einmal zu wiederholen – auch wenn Jan van Aken dies in einem Interview ausführlich betont hat: Diejenigen Kräfte, nämlich die HPG (aus Nordkurdistan), die YPG (aus Rojava-Kurdistan) und einige Peschmerga-Einheiten (insbesondere jene der YNK), die gegen die IS-Terroristen eine wirksame Gegenwehr entgegenstellen, fordern sofortige humanitäre Hilfe und keine militärische. Der einzige, der militärische Hilfe anfordert, ist gerade derjenige, der die Ezidis, Turkmenen und schiitischen Araber dem Terror der IS durch Rückzug seiner Kräfte überlassen hat – nämlich Mesud Barzani. Barzani hat offensichtlich vor, das Massaker an den Ezidis und anderen Zivilist_innen für die militärische und politische Unterstützung seiner »Unabhängigkeitsprojektes« auszunutzen. Für einen kleinen kurdischen Nationalstaat, der im Endeffekt nicht mehr als ein »kurdisches Kosovo« sein wird.
Auf der anderen Seite darf aber nicht vergessen werden, dass die IS-Terroristen offen von Saudi-Arabien, dem Katar und der Türkei militärisch, finanziell und logistisch unterstützt werden. Solange diese Unterstützung fortdauert, solange werden die Massaker nicht zu Ende gehen. Insofern stellt sich doch die Frage, warum Gregor Gysi nicht in den Sinn kommt, von den EU-Staaten und den westlichen Mächten harte Sanktionen gegen diese Länder zu fordern. Immerhin sind sie ja geübt darin – siehe Russland. Warum kommt es Gregor Gysi nicht in den Sinn, dass das Programm seiner Partei »Rüstungsverbote« fordert? Und warum denkt er beispielsweise nicht daran zu fordern, dass die Türkei ihren Grenzen für die IS-Terroristen dicht, aber für die Flüchtlinge offen machen sollte? Immerhin werden die IS-Terroristen in den türkischen Krankenhäusern kostenlos behandelt, aber Ezidi-Kinder abgewiesen, weil sie keine Pässe haben.
Angesichts der Tragödie im Irak und Syrien täte dem Vordermann der Linken gut zu Gesicht stehen, wenn er ein paar dringliche Forderungen aufstellen würde. Diese könnten z.B. sein: Sofortige humanitäre Hilfe und Rettung der eingeschlossenen Zivilisten. Zweitens; die Unterstützung der IS-Terroristen muss sofort beendet, gegen Unterstützung leistende Staaten müssen harte Sanktionen verhängt werden. Drittens; die Gründung einer Einheitsregierung im Irak, in dem die Vertreter_innen von Sunniten, Schiiten, Kurd_innen und anderen Ethnien sowie religiösen Gruppen gleichberechtigt teilnehmen, muss gefördert und die Bekämpfung der IS-Terroristen durch das irakische Militär und Polizei politisch unterstützt werden. Die Ausübung der Militär- und Polizeigewalt ist alleinige Sache der Landeskräfte. Nur so kann der 12 Tausend Mann starke Terrornetzwerk wirksam bekämpft werden. Die Bombardierungen der USA haben wieder bewiesen, dass ausländische Interventionen keine Lösung darstellen und gerade der Westen nur im Sinne seiner eigenen Interessen handelt.
Wer in einer solchen Situation besseren Wissens, Forderungen aufstellt, die unter dem Deckmantel der »Humanität« die Politik des Westens unterstützt, leistet einen Bärendienst – nicht nur seiner eigenen Partei, sondern im Besonderen jenen, die die IS-Terroristen wirksam bekämpfen und eine gemeinsame Zukunft in ihrem Land aufbauen wollen. Es mag sein, dass manche Linke in Deutschland unbedingt darstellen wollen, dass sie »Regierungsfähig« sind und »im Einzelfall über Kriegsteilnahme entscheiden« wollen. Das ist ihr gutes Recht, doch sollte das nicht im Namen aller Mitglieder der Partei DIE LINKE geschehen. Niemand kann einem Gregor Gysi verbieten, seine Meinung kundzutun. Auch den bürgerlichen Medien kann nicht verboten werden, Gregor Gysi als »den« vernünftigsten Linken darzustellen. Aber es sollte auch niemand erwarten, dass das alles widerspruchslos von anderen Linken aufgenommen wird. Wer Staatsräson zur Parteisache erklärt, der muss damit rechnen, dass andere ihm das geltende Parteiprogramm entgegen halten.
Seit Jahren weisen verschieden Mitglieder der Linken und verschiedene Bundestagsabgeordnete auf die akuten Probleme in der Region hin. In den bürgerlichen Medien werden sie als »Extremisten«, »Sektierer« und »unverbesserliche Fundamentalisten« diffamiert. Sozialisten werden immer damit rechnen müssen, von den bürgerlichen Medien so angegriffen zu werden. Das ist aber noch lange kein Grund, um sich von der eigenen Programmatik zu entfernen. Linke sollten sich nicht von bürgerlichen Medien Debatten aufzwingen lassen, sondern den Schmerz der Anderen als ein Schmerz des eigenen Leibes fühlen und sich mit jenen, die für eine freie, gleichberechtigte, friedliche und demokratische Zukunft kämpfen, solidarisieren. Dafür ist es notwendig, sich auf die eigenen Aufgaben im eigenen Land zu konzentrieren und nicht zu vergessen, dass weder Deutschland noch die eigene Partei das Zentrum der Welt ist. Wie es geht, dafür reicht ein Blick in das syrische Rojava oder den gemeinsamen Kampf unterschiedlicher kurdischer Gruppen.