Donnerstag, 9. Juni 2011

Die unerträgliche Leichtigkeit des Meinungsdiktats

Über den womöglich dümmsten Beschluss in der Geschichte der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

»Die Mitglieder des Deutschen Bundestages verpflichten sich, jegliche, von der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland abweichende Meinungen abzulehnen und dem entsprechend politisch zu handeln« - hätte z.B. die Bundesregierung eine solche Beschlussvorlage in den Bundestag eingebracht, wäre wahrscheinlich Gregor Gysi der erste, der wütend auf die Barrikaden steigen würde. Im eigenen Laden jedoch hat er offensichtlich nichts Besseres zu tun, als mit dem Rücktritt zu drohen, wenn ein Beschluss ähnlicher Intension nicht akzeptiert wird. Bei Schröder hätte Genosse Gysi ein solches Verhalten als »Basta-Politik« gebrandmarkt.

Nun hat die Fraktionsführung einen Beschluss durchgesetzt, der vom Chefredakteur des Neuen Deutschland, Jürgen Reents zu recht als »untauglich« und »ideologische Selbsttäuschung« kritisiert wird. In der Tat, Reents hat recht, wenn er meint, dass der »Beschluss von geschichtlicher Unkenntnis« zeuge. Nicht nur das; es zeugt von Unkenntnis, oder besser gesagt, von Ignoranz der Positionen der Linken in Israel und auch weltweit.

Nicht nur der Beschluss selbst, sondern ihr Zustandekommen ist höchst problematisch. Festlegungen, die in der Partei umstritten sind, mit Aussagen wie »Die Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE werden auch in Zukunft gegen jede Form von Antisemitismus in der Gesellschaft vorgehen. Rechtsextremismus und Antisemitismus haben in unserer Partei heute und niemals einen Platz. Die Fraktion DIE LINKE tritt daher entschieden gegen antisemitisches Gedankengut und rechtsextremistische Handlungen auf«, die für DIE LINKE selbstredend sind, zusammen zu bringen, ist ein unlauterer und billiger Trick. Wenn DIE LINKE nicht entschieden gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus vorgehen würde, verlöre sie den Anspruch, den Namen DIE LINKE zu tragen.

Diese klare Positionierung, dem sich kein Linker und keine Linke verschlossen hat, mit umstrittenen Festlegungen zusammen zu bringen, zeigt – ob gewollt oder ungewollt –, die Durchsetzung einer Parteiräson, den ja die deutschen Linken seit ihrem unwiderruflichen Bruch mit dem Stalinismus abgelegt hatten. Doch damit wird auch nicht nur die gezielte Kampagne der bürgerlichen Medien gegen die LINKE gebilligt, sondern zugleich Andersdenkende, die in Sachen Nahostkonflikt nicht die bundesdeutsche Staatsräson mittragen wollen, von eigenen GenossInnen als »Antisemiten« denunziert – von übrigen europäischen und israelischen Linken ganz zu schweigen. Wer so handelt, muss sich den Vorwurf des Meinungsdiktats und »Kniefalls vor der Staatsräson« gefallen lassen.

Zweitens wird mit der Festlegung, »Wir werden uns weder an Initiativen zum Nahost-Konflikt, die eine Ein-Staaten-Lösung für Palästina und Israel fordern, noch an Boykottaufrufen gegen israelische Produkte noch an der diesjährigen Fahrt einer ›Gaza-Flottille‹ beteiligen« die gesamte Partei m. E. in einer unzulässigen Art und Weise in eine politische Zwangspositionierung gedrängt. Unabhängig davon, ob die Festlegung der Bundestagsfraktion politisch für richtig oder falsch gefunden wird: in einer solch umstrittenen Frage ist es in erster Linie die grundsätzliche Aufgabe der Partei, eine politische Antwort zu geben, nicht einer Parlamentsfraktion (die sicherlich bei der Formulierung einen entscheidenden Einfluss haben würde). Was wäre, wenn ein Bundesparteitag einen anderslautenden Grundsatzbeschluss fassen würde? Die Aufgaben eines Bundesparteitages obliegen nicht der Bundestagsfraktion und sie sollte nicht versuchen, eine notwendige kontroverse Debatte in der Partei abzuwürgen – gerade in einer Zeit, in der kontrovers um Formulierungen im Parteiprogramm gerungen wird.

Drittens, der Fraktionszwang, den die linken auch aus demokratietheoretischen Gesichtspunkten heraus für fragwürdig halten, wird mit einem solchen Vorgehen in Beton gegossen. Der Anspruch, eine andere Partei als die Bürgerlichen zu sein, die Meinungsvielfalt pflegt und innerparteiliche Demokratie sowie demokratische Entscheidungsprozesse fördert, wird ad absurdum geführt. Sicher, die Bundestagsfraktion ist ein sog. Tendenzbetrieb und kann von ihren MitarbeiterInnen die Einhaltung von Grundprinzipien sowie von politischen Grundaussagen verlangen. Doch ist die Frage berechtigt, ob ein Meinungsdiktat und die Anweisung, dass »die MitarbeiterInnen sich für diese Positionen einzusetzen« haben, mit einem freiheitlichen, pluralistischen und demokratischen linken Verständnis von parlamentarischer Arbeit vereinbar ist.

Und viertens, ist die Art und Weise des Zustandekommens dieses Beschlusses im höchsten Maße schädlich für den Fraktionszusammenhalt. Dass Gregor Gysi eine der wichtigsten PolitikerInnen der LINKEN ist und seine Lebensleistung, insbesondere sein Engagement für eine geeinte Linke besonders lobenswert ist, ist unbestritten. Dennoch, eine Rücktrittsdrohung für das Durchpeitschen eines Beschlusses kann in einer, sich zur Pluralität und weitgehendster Demokratie bekennenden LINKEN nicht gutgeheißen werden. Nicht umsonst sprechen wir in anderen Zusammenhängen, so z.B. bei der Bundesregierung, von einer »erpresserischer Politik«. Eine erzwungene »Einstimmigkeit« führt neue Konflikte hervor.

Wenn die Linken sich die Blöße geben, mit Drohungen oder Druck auf Andersdenkende politische Beschlüsse herbeizuführen, werden sie unglaubwürdig. Es mag sein, dass jetzt Teile der Bundestagsfraktion oder ihnen nahe stehenden Strömungen diesen Beschluss als einen Sieg bzw. »einen eindeutigen Beschluss zur Klarstellung, der den nötigen Druck entfaltet« sehen werden. Es ist jedoch ein Pyrrhussieg, der mehr Unfrieden säen wird, als es die Partei befrieden könnte. Die eigene Geschichte lehrt uns: wer innerparteilichen Auseinandersetzungen mit Denkverboten und administrativen Maßnahmen begegnet, nimmt Spaltungen in Kauf.

Wie halten wir es mit dem Nationalstaat?

Ohne Zweifel, die innerparteiliche Auseinandersetzung um den Nahost-Konflikt bedarf einer klärenden Antwort. Diese Antwort durch eine Grundsatzdebatte unter Einbeziehung aller Parteimitglieder zu suchen ist eine dringliche Aufgabe. Durch eine, von Parteioberen aufoktroyierte Meinung wird diese Antwort sicherlich nicht zu finden sein. Aber durch eine offene, auf den antifaschistischen, antirassistischen und demokratischen Traditionen stehende und sich an der historischen Verantwortung am Holocaust sowie den Grundwerten der linken orientierende Debatte wäre dies möglich.

Dass der Fraktionsbeschluss für eine solche Debatte untauglich ist, macht sich an dem endgültigen Charakter der drei Punkte (Ein-Staaten-Lösung, Boykottaufruf und Gaza-Flottille) deutlich, weil der Beschluss keine grundsätzlichen Fragen zulässt. Das Stellen und Beantworten von grundsätzlichen Fragen ist aber unabdingbar für eine linke Antwort, die von einer überwältigenden Mehrheit der Parteimitglieder getragen werden kann.

Als erstes ist die Frage zu stellen, warum ein Ein-Staaten-Lösung als »antisemitisch« gesehen wird. Jürgen Reents weist in seinem Kommentar daraufhin, dass Menschen wie Hannah Arendt, Martin Buber, Albert Einstein und MitstreiterInnen von linkszionistischen Strömungen sich »für einen säkularen, demokratischen Staat, in dem Juden und Araber gemeinsam leben« engagiert hätten und fragt, ob eben sie »Antisemiten« seien. Wie damals gibt es auch heute in und außerhalb von Israel Jüdinnen und Juden, die an dieser Idee festhalten. Es wäre töricht, sie als »Antisemiten« zu bezeichnen. Dass aufgrund der historischen Entwicklung und der beiderseitigen Nationalismen heute die sog. Ein-Staaten-Lösung nicht sehr realistisch ist, braucht hier wohl nicht gesondert betont zu werden.

Aber ist das ein Grund dafür, diese Idee zu verteufeln oder gar als »antisemitisch« zu diffamieren? Mit welcher Anmaßung nehmen wir uns das Recht, eine Vision – so unrealistisch sie auch sein mag – von einem friedlichen und demokratischen Miteinander der PalästinenserInnen und der Menschen in Israel als »undenkbar«, »antisemitische Idee« oder »nicht Erstrebenswert« zu bezeichnen? Skandalös wird es dann, wenn wir denen, die über diese Idee sprechen und nachdenken wollen, Denkverbote erteilen.

Die pure Ablehnung einer Ein-Staaten-Lösung bedeutet im Umkehrsinn, die Befürwortung von monoethnisch bzw. monoreligiös ausgerichteten Nationalstaaten in Israel und Palästina, die keinen Raum für ethnische und religiöse Minderheiten zulassen. Ohne Frage, die sog. Zwei-Staaten-Lösung (in welchen Grenzen auch immer) wird in Israel, Palästina und in der internationalen Gemeinschaft mehrheitlich befürwortet. Die Frage ist jedoch, ob diese Tatsache allein die Grundlage einer linken Antwort bleiben kann und ob nicht die linke Kritik an der Religion im Allgemeinen, an der Nation an sich und der nationalstaatlich Verfasstheit eine weitere Grundlage bilden sollte.

Eines der wichtigsten Lehren aus den staatssozialistischen Versuchen des 20. Jahrhunderts ist, dass die sozialistischen Ideen und deren Umsetzung nicht national Eingrenzbar sind. Nation und Nationalstaaten sind als künstliche Produkte des Kapitalismus von Linken grundsätzlich in Frage zu stellen. Politische wie soziale Rechte und kollektive wie individuelle Freiheiten sind eine Einheit, die nicht voneinander zu trennen sind. Unabhängig der Ethnie, Religion, Sprache, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Weltanschauung hat jeder Mensch gleiche Rechte… usw. usf…

Wenn dem so ist und wenn die Nationalstaaten per se die Grundrechte ihrer EinwohnerInnen nach Nationalität bzw. Staatsbürgerschaft unterscheiden, wäre dann eine Linke nicht gehalten, den »Nationalstaat« und die mit dem Lineal gezogenen Grenzen im Nahen Osten in Frage zu stellen? Nun sind Nationalstaaten die Realität in unserer Welt, aber das ändert grundsätzlich nichts an dieser Frage. Denkbar wäre hier eine linke Antwort, für den Nahen Osten eine soziale, gerechte, emanzipatorische, säkulare und demokratische Union auf freiwilliger Basis der Völker – nicht nur der Israelis und PalästinenserInnen – zu fordern.

Sicher, auch das ist unrealistisch, aber rücken wir von unserer Absicht ab, den Kapitalismus zu überwinden, weil die derzeitigen Kräfteverhältnisse dies nicht zulassen? Hindert das uns davor, dass wir über Vorstellungen einer anderen, sozial gerechten, friedlichen Welt, frei von Ausbeutung und Sklaverei zu diskutieren und über Wege zum Sozialismus des 21. Jahrhundert zu streiten? Im Gegenteil, mit dieser Vision von einer anderen Welt versuchen wir Antworten auf die Probleme im hier und jetzt zu geben und beteiligen uns an sozialen Kämpfen, werben um Stimmen für stärkere parlamentarische Vertretungen und versuchen Lösungen unter den gegebenen Verhältnissen auszuarbeiten. Was spricht also dagegen, über »unrealistische« Ein-Staaten-Lösungen zu diskutieren und dabei der Realität in die Augen schauend, eine wahrscheinliche Zwei-Staaten-Lösung möglichst sozial gerecht, friedlich und demokratisch einzufordern? Im Übrigen; es würde uns, den europäischen Linken gut zu Gesicht stehen, wenn wir endlich die eurozentristische Brille abnehmen und akzeptieren würden, dass eine Lösung des Nahost-Konfliktes – wie sie auch aussehen mag – nur durch den Willen der dort lebenden Menschen wirklich gerecht gestaltet werden kann.

Zweitens ist die Frage zu stellen, warum DIE LINKE sich aus den Diskussionen um den Boykottaufruf für israelische Waren aus den besetzten Gebieten heraushalten sollte. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass oberflächlich betrachtet ein »Boykott« in Deutschland durchaus die unsägliche nationalsozialistische »Kauft nicht bei Juden«-Politik ins Gedächtnis ruft. Dass Trittbrettfahrer aus der rechtsextremen Ecke mit auf den Zug springen würden, ist auch eine realistische Gefahr. Wenn, wie in einigen Internetforen argumentiert wird, gesagt würde, »als Linke in einem Täterland haben wir in diesen Fragen zu schweigen und erst als die Letzten zu sprechen«, wäre das Sich-Heraushalten aus dieser Diskussion sicher nachvollziehbar.

Aber stellen wir doch die Frage aus der Perspektive linker Grundwerte: wie haben wir uns als Linke zu verhalten, wenn ein Staat einen Teil seiner StaatsbürgerInnen die vollen BürgerInnenrechte verwehrt; aus religiöser Motivation heraus den Grund und Boden seiner Nachbarn zu seinem Eigentum erklärt; nicht gewillt ist, UN-Resolutionen umzusetzen und sein nukleares Arsenal unter internationaler Kontrolle zu stellen; jegliche Standards eines demokratischen Rechtsstaates missachtet, gezielt »Staatsfeinde« exekutiert; Tausende ohne einen Gerichtsbeschluss inhaftiert; in fremden Gebieten, die sie besetzt hält, ein offenes Willkür- und Apartheidregime installiert hat, diese Gebiete mit international geächteten Munition bombardiert und bilaterale Abkommen mit den Nachbarstaaten als ein strategisches Instrument seiner weiteren Militarisierung sieht? Wie haben wir uns im Fall des Apartheidregimes in Südafrika oder gegenüber den arabischen Despoten verhalten? Zeugt es dann nicht von Doppelmoral, wenn wir uns im Falle des Staates Israel anders verhalten und andere Maßstäbe setzen?

Die Kritik an der Politik einer Regierung bzw. eines Staates ist grundsätzlich legitim – auch die linke Kritik an der Politik des Staates Israel. Wenn israelische Organisationen aufrufen, z.B. vom Europäischen Gerichtshof als rechtswidrig verurteilte Warenverkäufe aus den besetzten Gebieten zu boykottieren und gesellschaftliche wie politische Linke z.B. in anderen europäischen Staaten darauf solidarisch reagieren, dann hat das nichts mit »Antisemitismus« zu tun, sondern es ist eine Haltung, die auf linken Grundwerten basiert. Sicherlich bedeutet das nicht, dass eine linke Parlamentsfraktion oder Partei in Deutschland gezwungen ist, sich unbedingt an diesem Boykottaufruf zu beteiligen. Die politische Einschätzung einer Boykottkampagne mit all seinen Konsequenzen liegt in der freien Entscheidung der zuständigen Gremien. Aber diejenigen Linken als »Antisemiten« zu brandmarken und ihnen mit administrativen Maßnahmen zu drohen, weil sie diesen Boykottaufruf politisch richtig halten, ist weder eine linke, noch eine demokratische Haltung. Es ist ein Armutszeugnis unserer Partei, anstatt politisch zu begründen, warum in Deutschland eine Boykottkampagne falsch wäre, über jeden Stab zu springen, den uns die bürgerlichen Medien halten und einer fragwürdigen Staatsräson hinterher zu hecheln.

Und drittens stellt sich die Frage, warum die Bundestagsfraktion DIE LINKE ihren Mitgliedern untersagt, sich an einer neuen Gaza-Flottille zu beteiligen. Ohne die Tatsache, dass Bundestagsabgeordnete ihrem Gewissen verantwortlich sind unterstreichen und die Kritik von Annette Groth, über die Konstruktion eines »Sinnzusammenhanges zwischen ›Antisemitismus‹ und der Teilnahme an der neuen Gaza-Flottille« (http://thomasmitsch.files.wordpress.com/2011/06/erklc3a4rung_antisemitismus.pdf) wiederholen zu wollen, scheint es mir sinnvoll zu sein, die Zusammensetzung der Free-Gaza-Flottille näher zu betrachten.

Wenn VertreterInnen der Fraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament, von jüdischen Organisationen aus Europa und USA, zahlreiche Linke aus Großbritannien, Frankreich, Kanada, Skandinavien und den USA sowie verschiedene linke aus Israel daran teilnehmen, die dem Aufruf von Organisationen in Israel folgen, wie haltbar ist dann die Behauptung, dass diese Flottille eine »antisemitische Aktion« ist? Sind wir Linke in Deutschland die einzigen, die gesehen haben, dass die Flottille eine politische Falle der »islamistischen Israelhasser« ist? Sind die Linken aus den anderen Ländern blind, oder gar selbst »antisemitisch«?

Nun mag man darüber streiten, ob es politisch korrekt ist, mit islamischen oder islamistischen Organisationen, welche die Hamas unterstützen, in einer Flottille gen Gaza zu reisen. Auch die Berechtigung einer linken Kritik an der Politik der Hamas oder der Fatah kann nicht in Abrede gestellt werden. Und letztendlich kann durchaus hinterfragt werden, ob die Teilnahme von linken Bundestagsabgeordneten an der letzten Fahrt von »Mavi Marmara« politisch richtig war. Aber ändert das etwas an der eigentlichen Frage, ob der Versuch einer Durchbrechung der illegalen Blockade des Gaza-Streifens eine legitime Aktion ist und die völkerrechtswidrige Gaza-Politik der israelischen Regierung von Linken hingenommen werden darf. Wäre es eine Anmaßung, von denjenigen GenossInnen, die die Bundestagsabgeordneten wegen ihrer Teilnahme an der letzten Gaza-Flottille verurteilen, zu erwarten, mit gleichem Eifer den Angriff der israelischen Armee auf die Flottille anzuprangern? Fallen wir den jüdischen Organisationen, wie z.B. der Gruppe Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost und anderen nicht in den Rücken, wenn wir in der Flottille »ein Menetekel für neue Judenpogrome sehen« (W. Pirker, Junge Welt)?

Auch hier liegt es in der freien Entscheidung einer linken Parlamentsfraktion, für oder gegen die Teilnahme an einer Aktion wie die Gaza-Flottille einen Beschluss herbeizuführen. Über den Sinn oder Unsinn einer solchen Aktion müssen die Linken nicht unbedingt gleicher Meinung sein. Eine politische Begründung, unabhängig davon, ob man sie für richtig oder falsch hält, ist zu akzeptieren. Aber Verbote und Denunziationen sind einer linken Fraktion unwürdig.

Kurzum, dieser Beschluss der Bundestagsfraktion ist nicht nur ein falsches Signal, der die unberechtigten »Antisemitismus«-Vorwürfe gegen linke Bundestagsabgeordnete und linke Parteimitglieder implizit bestätigt, sondern gleichzeitig ein »Skandal sondergleichen«, wie Fanny-Michaela Reisin von der Gruppe Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost kürzlich formuliert hat. Es ist ein Beschluss, der spalterisch wirkt und den Verdacht nahe legt, als ein Instrument für den innerparteilichen Machtkampf instrumentalisiert zu werden. Es ist ein Beschluss, dessen inhaltliche Teile und Art der Beschlussfassung von der Parteibasis nicht unwidersprochen hingenommen werden darf.

Mit diesem Beschluss hat die Bundestagsfraktion nicht nur sich selbst, sondern der gesamten Partei einen Bärendienst erwiesen.

*)Murat Cakir ist Sprecher des Kreisverbandes DIE LINKE.Kassel-Stadt