Aus:
Neues Deutschland vom 18. August. 2012
Karim El-Gawhary, taz-Korrespondent in
Ägypten, scheint von der Euphorie gepackt zu sein, die von Präsident Mursi’s
jüngsten Entscheidungen hervorgerufen wurde. »Ein mutiger Befreiungsschlag« sei
das, »wohl (das) wichtigste Ereignis seit dem Sturz Mubaraks«.
In der Tat; bis vor kurzem hatten die
ÄgypterInnen kaum zu hoffen gewagt, dass die allmächtige Generalität jemals
zurückgedrängt werden kann. Nach Jahren der Diktatur ist diese Euphorie allzu
verständlich.
Doch, ist es wirklich ein »Etappensieg«,
ein »entscheidender Schritt für die Demokratie«, wie manche Kommentatoren
meinen? Ist die Vorherrschaft der Militärs beendet und sind »die Islamisten«
von damals nun »die« Demokraten von heute? Wohl kaum.
Die Pensionierung der vergreisten
Generäle ändert nichts an den politischen und wirtschaftlichen Privilegien der
Militärs sowie an der Tatsache, dass der Hohe Militärrat als Statthalter der
USA weiterhin in außen- und verteidigungspolitischen Fragen das Sagen hat.
General Tantavi musste dieses Arrangement eingehen, weil die US-Interessen
gewichtiger waren.
Das ägyptische Arrangement zeigt viele
Parallelen zu der Entwicklung in der Türkei auf. Auch dort sprach man von der
»Zurückdrängung der Generalität«. Doch was als »Demokratisierung« angepriesen
wurde, offenbarte sich binnen kurzer Zeit als autoritärer Neoliberalismus.
Islamische Rhetorik diente zur Legitimierung einer rigorosen neoliberalen
Wirtschaftspolitik und der Militarisierung im Innern wie Außen. Nun agiert das
AKP-Regime, das ohne die Petro-Dollars aus Saudi Arabien und Katar kaum
überleben kann, als »Subunternehmer« westlicher Interessen in der Region –
siehe Syrien.
Ohne Frage: Mursi hat mit einem
geschickten Schachzug die Sympathien der liberalen Mittelschichten gewonnen. Ob
jedoch daraus eine breite politische Unterstützung herauswachsen kann, muss
sich noch zeigen.
Die Unterstützung des Westens ist aber
den Islamisten sicher und das kommt nicht von ungefähr: Die neoliberale Haltung
der Muslimbrüder ist seit langem bekannt – Streikende Textilarbeiter von
Mahalla können ein Lied davon singen. Die geostrategische Bedeutung des Landes
und die außenpolitische Orientierung an Westen erleichtert die politische
Unterstützung der USA und der EU.
Die Finanzierung übernehmen die Saudis,
die bisher über 30 Milliarden Dollar in Ägypten investiert haben. Gemeinsam mit
den Golfkooperationsstaaten setzen die saudischen Despoten große Summen ein, um
die Macht der Muslimbrüder zu konsolidieren. In Ägypten kann exemplarisch
beobachtet werden, wie das »System der flexiblen Partnerschaften« der neuen
NATO-Strategie in die Tat umgesetzt und an dem Aufbau einer »Sunnitischen
Achse« gearbeitet wird.
Nichtdestotrotz: unklar ist, ob die Bevölkerung diesen
Weg mitgehen wird. Die Hälfte der 84 Millionen ÄgypterInnen lebt an der
Armutsgrenze. Als weltgrößter Nahrungsmittelimporteur ist das Land von
ausländischen Finanzspritzen abhängig. Massenarbeitslosigkeit,
Haushaltsdefizite, negatives Wachstum, gepaart mit Repressalien gegen
Minderheiten und Demokratiebewegung sowie die Machtkonzentration in den Händen
des Präsidenten zeigen, dass soziale Konflikte vorprogrammiert sind. Die
demokratische Camouflage des Arrangements vermag diese Tatsachen nicht zu
verdecken.