Donnerstag, 21. Februar 2013

»Aneinander vorbei…«


Türkeistämmige und kurdische FriedensaktivistInnen und die Friedensbewegung in Deutschland
  Eine alltägliche Szene in einer deutschen Stadt: Auf dem Platz vor dem Kaufhaus eine bunte Menschenansammlung. Unterschiedliche Gruppen der Friedensbewegung bereiten sich auf die bald beginnende Demonstration vor. Während zahlreiche Transparente ausgerollt werden, halten manche friedensbewegte Mitglieder politischer Parteien die Fahnen ihrer Parteien hoch. Leute unterhalten sich, einige machen Musik. Auf einmal ist die Polizei in voller Montur da. Mehrere Beamte gehen direkt auf eine Gruppe zu, die Transparente in kurdischer und deutscher Sprache ausgerollt haben und einige Öcalan-Fahnen schwenken. Der leitende Beamte droht: »Entweder kommen die Fahnen weg oder wir werden eingreifen!« Inzwischen ist die ganze Gruppe umzingelt und von den übrigen Demonstranten abgeschottet. Viele Leute schauen verstört zu. Hilfesuchend hält einer der KurdInnen Ausschau nach einem der OrganisatorInnen. Irgendwie ist keiner in der Nähe. »Das ist doch eine Friedensdemo, was soll das mit dem Öcalan?« sagt eine Lehrerin ihrer Freundin. Ihre Freundin nickt. Die kurdische Gruppe versucht mit dem leitenden Polizeibeamten zu verhandeln, doch sie haben keine Chance. Die Fahnen und Transparente werden wieder eingerollt. Auf der einen kann man lesen: »Frieden für Kurdistan«. Die Gruppe verlässt den Platz. Zwei kurdische Studentinnen bleiben noch da und als der Demonstrationszug sich bewegt, reihen sie sich ein. Von hinten hören sie eine Frau rufen: »Hört mal! Das ist eine Antikriegsdemonstration und keine für die PKK«.

Was sich als eine fiktive Geschichte anhört, ist keines und könnte womöglich in den letzten Jahren auf allen möglichen Friedensdemonstrationen in Deutschland immer wieder beobachtet werden. Ein kurdischer Aktivist sagt: »Ich lebe nun seit mehr als 30 Jahren in Deutschland und bin genauso lange in der hiesigen Friedensinitiative aktiv. Meine Frau, meine Freunde und ich sind immer dabei, wenn gegen den Krieg und für Frieden demonstriert wird. Aber jedes Mal stelle ich fest, dass die deutschen Kollegen sich kaum über die Entwicklung in Kurdistan oder in der Türkei interessieren. Da wird mit deutschen Waffen ein Krieg geführt, aber keiner interessiert sich dafür. Wieso, ist das kein Krieg? Werden wir nur dann demonstrieren, wenn eben deutsche Soldaten dabei sind? Ich verstehe es nicht.«
Nun wird man entgegen, dass die Friedensbewegung sich immer wieder mit der Entwicklung des kurdisch-türkischen Konflikts befasst habe und auch im Internet zahlreiche Artikel dazu zu finden sind. Sicher, wenn nicht die deutsche Friedensbewegung, wer dann? Die Frage des kurdischen Aktivisten ist aber dennoch berechtigt, weil – selbstkritisch betrachtet – vielmals Afghanistan oder Mali »viel näher« erscheint als Kurdistan.
Aus der Friedensbewegung ist wiederum zu hören, dass türkeistämmige und/oder kurdische AktivistInnen kaum Interesse für die Aktivitäten der Friedensbewegung zeigen und nur sporadisch an Demonstrationen teilnehmen. »Im Grunde sind sie nur dann da, wenn es um die Freiheit von Öcalan geht oder eine Unterschriftenaktion stattfindet« hört man. Auch das ist richtig.
Wie aber nun mit dem Problem umgehen? Ein Patentrezept kann niemand vorweisen, aber »Aufklärung« wäre sicher ein Schlüsselbegriff. Aufklärung darüber, was wirklich in der Türkei und in Kurdistan vorgeht, wer die Akteure sind, wie ein schmutziger Krieg auch von Europa, insbesondere von der Bundesregierung unterstützt wird oder was das alles mit der NATO zu tun hat. Viele deutsche Friedensbewegte haben keine Kenntnisse darüber, dass KurdInnen aufgrund des »PKK-Verbots« nur dann demonstrieren dürfen, wenn es um die persönliche Situation von Abdullah Öcalan geht und ansonsten sie nach dem § 129b StGB wegen der »Verwendung von verbotenen Zeichen« oder »Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation« strafrechtlich belangt werden könnten. Dafür reicht mancherorts aus, rot-grün-gelbe (kurdische Nationalfarben) Schals zu tragen – auch bei Friedensdemonstrationen.
Umgekehrt ist Aufklärung über die Friedensbewegung für die türkeistämmigen und kurdischen AktivistInnen notwendig. Kenntnisse über die Zusammensetzung der Friedensbewegung, deren Möglichkeiten und über deren politische Vielfalt. Und darüber, dass die Friedensbewegung nicht nur eine wichtige, sondern zugleich natürlichste Bündnispartnerin für die türkeistämmigen und kurdischen Friedensbewegten ist.
Vor allen Dingen ist die Friedensbewegung in Deutschland diejenige Kraft, die einen Einfluss auf die deutsche Türkei-Politik ausüben könnte. Immerhin ist die deutsche Türkei-Politik, welche sich seit den Tagen des Kolonialstrategen Paul Rohrbach (1911) kaum geändert hat, die wichtigste Stütze für die Kurdenpolitik der türkischen Entscheidungsträger. Für die Türkei ist Deutschland nicht nur der wichtigste Wirtschaftspartner, sondern der größte Rüstungslieferant der türkischen Armee.
Auf der anderen Seite wären die türkeistämmigen und kurdischen Friedensbewegte mit ihren Mobilisierungskräften eine große Stütze für die friedenspolitischen Aktionen und europaweiten Kampagnen, da sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Länder organisiert sind. Um einen Missverständnis vorzubeugen: Es geht nicht darum, sie als Mobilisierungsmasse zu bezeichnen. Um ihre Demonstrationen zu organisieren bedürfen z.B. die kurdischen Organisationen keiner größeren Anstrengung – ein großer Teil der kurdischen MigrantInnen ist hoch politisiert. Es fehlen seitens der deutschen Friedensbewegung Signale, die deutlich machen, dass sie sich der Sache der kurdischen MigrantInnen annimmt. Jede weitere Eskalation in den kurdischen Gebieten, jede weitere Repression und jeder weitere Tote bestimmt das Leben der KurdInnen in der Migration. Im Grunde genommen, wenn man die deutsche Türkei-Politik, die regierungsamtliche Sonderbehandlung der KurdInnen in Deutschland, aber auch die rüstungspolitischen und geostrategischen Interessen der deutschen Wirtschaft im Nahen und Mittleren Osten betrachtet, wäre es im ureigenen Interesse der deutschen Friedenspolitik, wenn sie ihr Augenmerk, »weit hinten in (die) Türkei... wo sich die Völker die Köpfe einschlagen« (Goethe) richten würde.
Die moderne Arbeitsmigration, aber auch die Situation der Flüchtlinge in Europa haben einen besonderen Charakteristikum: Aufgrund der »verkürzten« Verkehrswege in die Herkunftsländer, der Satellitenfernseher und elektronischen Medien führen MigrantInnen und Flüchtlinge quasi ein Doppelleben – auf der Straße, in der Schule, im Betrieb sind sie in Deutschland, aber in der Wohnung, im Viertel oder in den Vereinslokalen erleben sie die »Heimat« mit all ihren aktuellen Entwicklungen. Sicher haben die restriktive Migrations- und Flüchtlingspolitik sowie das subjektive Gefühl der »Nichtdazugehörigkeit« einen entschiedenen Anteil an der Selbstisolation der migrantischen Gruppen. Und sicher ist es auch ein Ergebnis der organisierten Zivilgesellschaft, dass sich MigrantInnen in zahlreichen Vereinen, Verbänden, Interessensgruppen und Initiativen zusammenschließen. Daraus erwächst jedoch zugleich ein Konfliktpotential, welches auch die Mehrheitsgesellschaften in Europa betrifft: Jede Eskalation im kurdisch-türkischen Konflikt, jedes nationalistisch-rassistische Pogrom in der Türkei führt zu Auseinandersetzungen auch in den deutschen Städten. Der Krieg in Kurdistan, der kurdisch-türkische Konflikt im Allgemeinen, hat das Potential, die Straßen von europäischen Metropolen in einen Flächenbrand zu verwandeln. Organisierte Angriffe türkischer Nationalisten auf türkeistämmige und kurdische FriedensaktivistInnen, die von der Bundesregierung hingenommene und teilweise unterstützten Aktivitäten des türkischen Staats auf deutschem Boden haben dies in der jüngsten Vergangenheit mehrfach unter Beweis gestellt.
Für die deutsche Friedensbewegung stehen hier mehrere Zusammenhänge. Zum einen die Rüstungsexporte in die Türkei und die deutsche Türkei-Politik. Die »Wahrnehmung« der geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitals machen einen »schmutzigen Krieg«, Repressionen und Unterdrückung in einem anderen Land möglich. Mehr noch: die Stationierung von Patriot-Raketen und Bundeswehrsoldaten in der Türkei zeigt, wie Deutschland in einen Regionalkrieg hineingezogen werden kann.
Zum anderen steht die Demokratiefrage im Raum. Mit Verboten, Geboten und Stigmatisierungen werden türkeistämmige, aber vor allem kurdische FriedensaktivistInnen kriminalisiert. Diese Kriminalisierung wiederum begründet den Abbau von demokratischen Rechten, die zuerst gegen MigrantInnen gerichtet ist, aber, wie oft in der Vergangenheit beobachtet, sehr schnell auf die Gesamtbevölkerung ausgeweitet werden.
Kurzum, es ist von Nöten, dass türkeistämmige und kurdische FriedensaktivistInnen und die deutsche Friedensbewegung aufhören würden, aneinander vorbei zu reden. Um das Kind mit dem Namen zu nennen: der kurdisch-türkische Konflikt ist zugleich ein deutsches Problem und muss damit ein Gegenstand der deutschen Friedensbewegung sein. Das bedeutet aber auch, dass türkeistämmige und kurdische FriedensaktivistInnen ein Bestandteil der deutschen Friedensbewegung sein müssen. Es ist unerheblich, welche Herkunft man hat. Gemeinsam für den Frieden zu streiten, das ist das Gebot der Stunde!