Montag, 1. April 2013

Ja zur Demokratie - Nein zur ausländischen Intervention


Ostermarschrede Frankfurt/M., 1. April 2013

»Der Krieg nimmt zunehmend konfessionelle Züge an. (...) Es ist unverantwortlich, in einer solchen Situation Waffen an die syrische Opposition zu liefern, wie dies Frankreichs Präsident Hollande und Großbritanniens Premierminister Cameron vorschlagen. Wichtiger wäre es, jetzt gemeinsam mit Russland auf alle Kriegsparteien Druckauszuüben, damit alle Beteiligten in sofortige Verhandlungen eintreten. (...) Die Geschehnisse sind zu dramatisch, um von Ironie des Schicksals zu sprechen. Aber Teile der Rebellen in Syrien gehören genau zu den salafistischen und wahhabitischen Gruppen, die in Mali von Frankreich bekämpft werden. (...) Geradezu bizarr ist eine europäische Außenpolitik, die die Rebellen in Syrien als ›Freiheitskämpfer‹ glorifiziert und die gleichen Kämpfer mit den gleichen Methoden und Zielen (...) in Mali als Terroristen bekämpft.«
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde,
das, was sich wie eine Erklärung der Friedensbewegung anhört, ist ein auszugsweises Zitat aus einem FAZ-Artikel des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU, Armin Laschet. In seinem Artikel vom 22. März 2013 sorgt sich Herr Laschet um die Zukunft der Christen in Syrien.
In der Tat; die Entwicklung in Syrien gibt genug Anlass zur Sorge. Derzeit sind alle Augen auf den Bürgerkrieg in Syrien gerichtet, welcher den Völkern in diesem Land einen zu hohen Blutzoll abverlangt. Die legitime Bewegung der syrischen Völker für demokratische Rechte begann ebenso friedlich, wie die übrigen Demokratiebewegungen in der arabischen Welt. Nun läuft sie Gefahr in einen konfessionellen Krieg mit regionaler und internationaler Beteiligung zu münden. Insofern hat Herr Laschet Recht. Doch wichtig ist es auch, was er nicht sagt. Er sagt nämlich nicht, dass es sowohl in Syrien als auch in Mali um mehr geht, als um bewaffnete islamistische Gruppen.
In Syrien geht es zum einen um Iran, was als der letzte Mosaikstein für die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens angesehen wird. Keine Frage: weder das Mullah-Regime im Iran, noch das Assad-Regime in Syrien sind leuchtende Beispiele für Demokratie. Dennoch: diese Tatsache kann und darf Kriegsdrohungen und die Verletzung der UN-Charta nicht rechtfertigen. In Syrien werden jegliche Grundsätze der UN-Charta mit Füßen getreten. Die Türkei, die despotischen Herrscher aus dem Golf, die NATO, die USA und EU unterstützen finanziell, politisch, logistisch und militärisch eine Bürgerkriegspartei – nämlich die gleichen islamistischen Gruppen, die in Mali bekämpft werden. Währenddessen werden syrische Kurden, die für eine friedliche innersyrische Lösung sind und längst die demokratische Autonomie ausgerufen haben, mit allen Mitteln bekämpft – selbst vom Führer des kurdischen Autonomiegebiets im Nordirak, Mesud Barsani. Warum?
Die Antwort finden wir in den riesigen Erdöl- und Erdgasfeldern der Region. Alleine in Nordirak befinden sich rund 45 Milliarden Barrel Rohöl. Es ist geplant in den nächsten Jahren täglich 1 Million Barrel Öl zu fördern. Nach den heutigen WTI-Preisen entspricht das einem Jahreseinkommen von 33 Milliarden US-Dollar. Im Levante-Becken, also im östlichen Mittelmeer wurde ein Erdgasgebiet mit einer Kapazität von 3,5 Billionen Kubikmeter gefunden. Unlängst haben die größten Energiekonzerne der Welt in der Region Milliarden investiert. Das eigentliche Problem ist jedoch nicht die Förderung, sondern der Transport und Vertrieb in den Westen. Laut jüngsten Untersuchungen verläuft die günstigste Pipeline-Variante von Nordirak über Nordsyrien an den türkischen Umschlaghafen Ceyhan. An diese Pipeline wollen Katar ihre derzeitigen und Israel seine zukünftigen Erdgaslieferungen anschließen. Insofern ist das, was die Türkei als »humanitären Korridor« in Nordsyrien verlangt, nichts anderes als ein Korridor für den Transport der Energieträger.
Das ist der Grund, warum die NATO deutsche und niederländische Patriot-Systeme in der Türkei stationiert hat. Das ist der Grund, warum die Türkei über 150 TSD Soldaten, zahlreiche Panzer- und Kanonen-Bataillone sowie mehrere Jagdgeschwader ihrer Luftwaffe an die syrisch-türkische Grenzregion gezogen hat. Die Türkei verfolgt damit, gemeinsam mit den sunnitischen Despoten aus dem Golf, zwei wichtige Ziele: zum einen wollen sie den Einfluss Irans zurückdrängen und zum anderen durch die Verbindung von Bevölkerung, Energieressourcen und Kapitalkonzentration die politische, wirtschaftliche, militärische und kulturelle Dominanz in der Region erreichen. Bei dem Aufbau der »Sunnitischen Achse« werden sie von der NATO, allen voran von Deutschland nach allen Kräften unterstützt.
Um nichts anderes geht es auch in Mali. In Mali selbst gibt es Gold, Diamanten und Phosphat, was für die weltweite Dünger-Produktion immer wichtiger wird. Neben den Hinweisen auf Erdöl- und Erdgas-Reserven sind die Uranvorkommen in der Region riesig. Die Informationsstelle Militarisierung berichtet, dass Frankreichs Atomkraftwerke rund 70 Prozent ihres Bedarfs an Uran aus Niger, dem Nachbarland Malis bezieht. Ferner wird durch Niger eine fast 4.000 km lange Gas-Pipeline gebaut, die von Nigeria zur algerischen Mittelmeerküste geführt wird. Diese herausragende geostrategische Bedeutung von Mali ist der eigentliche Grund der militärischen Intervention Frankreichs und der Unterstützung Deutschlands.
Aber zurück zu Syrien. Zuallererst sollten wir nicht vergessen, was in Syrien bisher passiert ist: Über 70.000 Menschen wurden getötet. Rund 1 Million Menschen wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Etwa 2,5 Millionen Menschen sind Obdachlos geworden. Das Land gleicht einem Trümmerfeld. Marodierende Horden diverser islamistischer Gruppen verüben tagtäglich politische Morde, Überfälle und Plünderungen. Auch das Regime setzt auf militärische Gewalt.
In einer solchen Situation haben die EU und die NATO nichts besseres zu tun, als den Bürgerkrieg weiter eskalieren zu lassen. Anstatt sich für eine politische Lösung einzusetzen, damit endlich das Blutvergießen beendet werden kann, sorgen sie  für die bessere Bewaffnung einer Bürgerkriegspartei.
Auch die Bundesregierung mischt in diesem perversen, von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Spiel kräftig mit. Bundesnachrichtendienst und Spezialisten der Bundeswehr für elektronische Kampfführung hören von der Türkei aus den syrischen Funk- und Telefonverkehr ab und geben die strategischen Daten weiter. Der BND brüstet sich sogar damit, »zum Sturz des Assad-Regimes einen wichtigen Beitrag zu leisten«. Mehr noch: zur deutschen Schützenhilfe gehören auch die Waffenlieferungen an die sunnitischen Despoten am Golf. Während Saudi Arabien und Katar die Kriegskassen der bewaffneten Gruppen in Syrien füllen, sorgt Berlin für die Bewaffnung der reaktionären Golf-Staaten mit Panzern, Truppentransportern und weiterem Kriegsgerät. So sieht die sogenannte »Schutzverantwortung« des Westens aus – Ja, sie schützen etwas, nämlich wirtschaftliche Interessen. Dafür ist es den Regierenden in Berlin, Paris, London oder in Washington, egal ob die Völker in der Region daran zugrunde gehen oder nicht. Und machen wir uns nichts vor: Hier, vor unserer eigenen Türe beginnt der Krieg.
Nein, Herr Laschet, bizarr ist die europäische Außenpolitik nicht! Diese Politik hat Methode. Es sind die geostrategischen, geopolitischen und geoökonomischen Interessen, die es erforderlich machen, die Rebellen in Syrien als »Freiheitskämpfer zu glorifizieren«, während in Mali »die gleichen Kämpfer als Terroristen bekämpft« werden. Sie sollten ihre Kritik an die eigene Bundesregierung richten. Denn es ist die deutsche Außenpolitik, die zur weltweiten Militarisierung von Konflikten beiträgt. Es ist die Bundeswehr, die die französische Intervention in Mali unterstützt. Es sind deutsche Soldaten, die mit den Patriot-Systemen zur Eskalation des syrischen Bürgerkriegs beitragen. Und es sind deutsche Waffen, vor allem die Kleinkalibergewehre von Heckler & Koch, die auf allen Kontinenten Menschen töten.
Nein, Herr Laschet, alles hat Methode. Es ist ihre Bundesregierung, die sich damit rühmt, dass Deutschland weltweit der drittgrößte Rüstungsexporteur geworden ist. Es ist diese Bundesregierung, die das Bonner Grundgesetz ausgehöhlt und Grundsätze, wie den Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete, ad absurdum geführt hat. Und leider ist es die Bundestagsmehrheit der letzten Jahre, die mit der dreisten Lüge von dem Schutz der Menschenrechte und Demokratie die Auslandseinsätze der Bundeswehr ermöglicht hat. In der Tat, Herr Laschet; »die Geschehnisse sind zu dramatisch, um von Ironie des Schicksals zu sprechen«. Denn es ist kein Schicksal, sondern eine bewusste Politik und zugleich die fatale Konsequenz der Rüstungsproduktion, die militärische Gewalt zu perfektionieren, das Kriegsgeschehen auszuweiten und Rüstungsexporte zum strategischen Mittel deutscher Außenpolitik zu machen. Genau das sollten Sie Herr Laschet anprangern, wenn Ihnen als guter Katholik die Christen in Syrien am Herzen liegen.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde!
Gerade heute sollte uns bewusst werden, dass der Einsatz für Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in aller Welt nicht nur ein Akt der Solidarität und Menschlichkeit ist. Es ist zugleich ein Handeln im ureigenen Interesse. Denn die Beugung des internationalen Rechts, die Aushöhlung unserer Verfassung, die Militarisierung der Innen- und Außenpolitik, völkerrechtswidrige Kriege und Besatzungen sowie der fortwährende Rüstungsexport stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem neoliberalen Umbau sowie dem massiven Abbau sozialer und demokratischer Rechte in unserem Land. Daher ist es unsre erste Bürgerpflicht aufzustehen und uns entgegen zu stellen, wenn die Bundesregierung und die derzeitige Bundestagsmehrheit die Bundeswehr zu einer globalen Interventionsarmee umwandeln wollen; wenn sie gegen das Grundgesetz und gegen die UN-Charta bewusst verstoßen; wenn despotische Regime aufgerüstet, religiösen Fanatikern freie Hand gegeben und regionale Krisen angefeuert werden. Es ist unsere Pflicht, dagegen auf zu begehren, wenn jedes Jahr über 30 Milliarden Euro für Rüstung ausgegeben werden, während Jahr für Jahr immer weniger öffentliche Mittel für dringende soziale Aufgaben, für die Daseinsvorsorge, Alterssicherung, Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheit und für Kommunen zur Verfügung stehen; wenn Kinder in Armut aufwachsen müssen, während Reichen und großen Konzernen Steuergeschenke verteilt werden. Gegen den Krieg, gegen Rüstungsexporte und für den Frieden zu sein bedeutet zugleich, sich dafür einzusetzen, damit in den Parlamenten nicht die wirtschaftlichen Interessen einer Minderheit, sondern die berechtigten Interessen der Bevölkerungsmehrheit die Oberhand gewinnen. Letztlich bedeutet es, dafür zu kämpfen, dass endlich dem großen Einfluss der Rüstungskonzerne und der Finanzwirtschaft in der Gesetzgebung Einhalt geboten werden kann. Genau das ist notwendig, um mit der Kriegslogik brechen zu können.
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Toten mahnen uns. 650.000 Tote im Irak, über 100.000 in Afghanistan, 70.000 in Syrien und das Leid der Millionen. Sie mahnen uns, beharrlich für Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in allen Ecken dieser Welt zu kämpfen. Sie mahnen uns, zu Auslandseinsätzen, zu Rüstungsexporten, zum Krieg und zur NATO konsequent Nein zu sagen. An keine Geringeren als an diese Toten sollten wir denken, wenn wir die einzige legitime Waffe im Kampf gegen den Krieg, unsere demokratische Stimme benutzen!
Für Syrien heißt das: Ja zur Demokratie, Nein zur ausländische Intervention!
Für Deutschland heißt das: Das richtige Kreuz auf dem Stimzettel!