Eine polemisch-satirische Streitschrift
über PEGIDA und andere Spinner
»Wutbürger« war in den letzten Jahren ein gern
benutzter Begriff der bürgerlichen Medien. Ob sich in diesem Jahr der Begriff
»Hassbürger« durchsetzen kann, wenn über die rassistischen
Massendemonstrationen berichtet wird, scheint nicht sehr wahrscheinlich zu sein
– Obwohl, Hassbürger könnte durchaus geeignet sein, die ach so patriotischen
und besorgten Demonstranten zu beschreiben. Im Grunde genommen sind sie genau
das, wie sie von Hannah Arendt als »das Volk in seiner Karikatur« bezeichnet
wurden, nämlich: der Mob (ausgeliehen von Claus Leggewie, taz).
Freilich, der PEGIDAist wird meinen: »Auf so was
kommen nur solche vaterlandslosen Gesellen und unpatriotische Kommunisten wie
ihr«. Recht hat er. Wie dem auch sei; ob nun Mob, Wut- oder Hassbürger,
unabhängig davon, wie man die Teilnehmer (wie gewünscht bleiben wir
»Genderfrei«) der Demonstrationen bezeichnet, stellen sich doch einige Fragen –
so z.B. nach dem Warum: Warum kann ein Verein, der sich »Patriotische Europäer
gegen die Islamisierung des Abendlandes« schimpft (ein Verein gegen die
Verdummung des Abendlandes wäre sicher sinnvoller), jeden Montag über 10.000
Teutonen auf die Straße bringen? Gerade in Dresden, wo man kaum auf Muslime in
Horden treffen kann und die eher in heimischen Bildschirmen zu sehen sind?
Vielleicht daher, weil inzwischen im jeden sächsischen Haushalt der zweite Mediamarkt-50
Zoll-HD-Fernseher in der Küche steht? Ja, wie blöd ist das denn?
Apropos blöd: Im Spiegel meinte Jakob Augstein, das es
falsch sei, die PEGIDA »verstehen« und »erklären« zu wollen, weil die These
einer Islamisierung des Abendlandes allen seriösen Studien widerspräche. Deshalb
sei jeder, der gegen eine »Islamisierung des Abendlandes« demonstriere, »ein
Idiot oder ein Rassist« [sic!]. Nun, Augstein ist kein unkluger Kopf. Mit
»Idiot« meint er natürlich nicht einen »gewöhnlichen, einfachen Menschen«,
sondern eher abwertend einen »Unverständnis hervorrufenden törichten Menschen«
bzw. einen »Dummkopf«.
»Die spinnen, die Teutonen!...«
... würde Obelix sagen, wenn er den PEGIDAisten
gegenüberstehen würde. Es gehört nun mal zur Allgemeinbildung: Rassisten sind
überall Ar..., ähm Spinner. Aber – das muss man den PEGIDAisten zu Gute halten
– mögen sie Idioten, also »gewöhnliche, einfache Menschen« sein, doch Dummköpfe
sind sie nicht. Stolzzzz bis zur Decke wissen sie ganz genau, wie alle anderen,
die das Glück haben, in privilegierten Regionen der Welt zu leben, dass sie
ihre vermeintliche Freiheit (was jetzt der Sicherheit geopfert wird), ihren
gefühlten oder tatsächlichen Wohlstand und den Reichtum ihrer Reichen und
Schönen, der Armut der übrigen Welt verdanken. Es ist ihnen auch bekannt, dass
die kapitalistischen Zentralländer (rund 15 Prozent der Weltbevölkerung) über
rund 85 Prozent des weltweit erwirtschafteten Reichtums verfügen, während alle
19 Sekunden ein Kind wegen Krankheit, Krieg oder ökologischen Katastrophen
stirbt oder rund 1 Milliarde Menschen hungern und das alles keine Phrasen von
kommunistischen Verschwörungstheoretikern sind. Und sie haben recht: die Armen
wollen etwas von ihrem Reichtum abbekommen. Teilen will der deutsche Michel
aber nicht.
Doch, kommen wir auf den Idioten zurück. Hier stellt
sich die Frage, ob die Kategorie des Idioten bzw. eines Rassisten hilfreich
ist, die Hintergründe der rassistischen Massendemonstrationen beleuchten zu
können. Ein Mensch kann ein Idiot, ein Rassist, Islamhasser oder Antisemit sein.
Das erklärt erst mal gar nichts. Darum wäre es sinnvoll, hier den ollen Karl
Marx heranzuziehen. Marx sagt nämlich folgendes: »Es ist nicht das Bewusstsein
der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das
ihr Bewusstsein bestimmt«. Sprich: Bevor man begreifen kann, warum der
teutonische Hassbürger so handelt, wie er handelt, gilt es, die Strukturen zu
erklären, in denen er handelt.
»Ja, Himmiherrgottsakramentkruzitürken noch’ma« wird
wohl der PEGIDAist schimpfen, vielleicht auch »du Saupreiß, türkischer!«.
Gönnen wir dem moralisch überlegenen Teutonen sein Recht auf die eigene Meinung
und schauen uns die Situation in Deutschland mal an. Guckstdu:
Auf dem ersten Blick scheint die Welt der Teutonen
doch sehr in Ordnung zu sein. Der bundesdeutsche Haushalt schreibt schwarze
Zahlen, die Wirtschaft wächst und gedeiht, Kaufkraft steigt. Geld gibt’s im
Überfluss – na ja, wenigstens für jene, die viel davon haben, aber immerhin.
Die Arbeitslosigkeit sinkt, es geht aufwärts. So schreibt Sven Astheimer in der
FAZ vom 6. Januar 2015 folgendes: »Heute werden abermals Rekorde geschrieben.
42,6 Millionen Erwerbstätige gab es in diesem Land noch nie zuvor, und die
Erwerbslosigkeit nährt sich ihrem Rekordtief. In weiten Teilen Süddeutschlands
herrscht Vollbeschäftigung. Die schmerzhaften Einschnitte der vergangenen
Jahrzehnte zahlen sich aus: Grundlegende Restrukturierungen und eine
zurückhaltende Lohnpolitik« (Dank kämpferischer Gewerkschaften) »brachten
deutschen Unternehmen auf den Weltmärkten ihre Wettbewerbsfähigkeit zurück, und
die Agenda-Politik flexibilisierte den Arbeitsmarkt für ein globalisiertes
Umfeld. Deutschland steht nun auch wirtschaftlich wieder im Zentrum des
Kontinents.«
Da schau her! »Wir sind wieder wer« - das Tosen des inneren
Reichsparteitages ist kaum zu überhören. Jetzt kann der »sparpolitische
Zuchtmeister« Europas und die »wiedererwachte Großmacht« (Max Lill, rosalux.de) kraftvoller denn je seines Amtes walten: in seinem Binnenmarkt, der
EU, die Mitgliedsländer (und die es werden wollen) züchtigend, die EU unter
teutonischer Kontrolle zu einem echten militaristischen Imperium formen. Aber,
wie kommt es, dass in einem solch reichen Land, dem es so gut geht, gerade jene
kleinbürgerlichen Gutverdiener zu Hassbürger werden?
Eine mögliche Antwort dazu liefert Horst Kahrs von der
Rosa-Luxemburg-Stiftung. In seiner Analyse »Zerfall des Mythos von der ›Mitte‹ - Ausbreitung
einer ›sozialen Nationalismus‹«
stellt Kahrs folgendes über die »soziale und lebensweltliche Herkunft« der
AfD-Wähler, die ja zahlreich in Dresden und anderswo vertreten sind, fest: »Sie
verteilen sich mittlerweile über alle Altersgruppen mit einem Schwerpunkt bei
den mittleren, berufstätigen Jahrgängen. Angehörige von Haushalten mit einem
höheren Einkommen neigen ebenso überdurchschnittlich zur AfD wie Besitzer von
Wohneigentum, Freiberufler, Selbstständige und Beamte, Männer stärker als
Frauen. Arbeitslose und Personen mit niedrigen Einkommen sind
unterdurchschnittlich vertreten. In den (Sinus-) Milieus bzw. Lebenswelten der ›bürgerlichen
Mitte‹, der ›konservativ Etablierten‹ und der ›Traditionellen‹ besitzt die AfD
ihre Hochburgen«.
Hä??(Nordhessisch für Nixverstehn) Milljöh,
konservativ etabliert, Traditionelle?? Na ja, früher war’s ja auch einfacher:
das Proletariat, die Bauern, die Bourgeoisie und nicht zu vergessen, die
Pfaffen... Die klassische Klassengesellschaft eben. Heute ist es halt
komplizierter: Bio-Deutsche, Ober-Oberschicht, Oberschicht, Unter-Oberschicht,
obere und untere Mittelschichten, die Prekären, Unterschichten,
Ausweis-Deutsche, innovative-qualifizierte Zugewanderte, integrationsfähige
Bevölkerungsteile mit Migrationshintergrund, Integrationsunwillige,
sozialschmarotzende Wirtschaftsflüchtlinge, anerkannte Asylanten, Geduldete, Abschüblinge
usw. usf.
Für den PEGIDAisten ist die Welt einfacher zu
erklären: Toitsch, katholisch, evangelisch, ausländisch, Asylant, Kanacke und
Islamist! So einfach können wir es leider nicht machen, daher zurück auf Kahrs
Feststellung: Also, es steht fest, dass die AfD und die PEGIDAisten keine
Prolos brauchen – vielleicht als Ordner und Pöbel. Irgendjemand muss ja richtig
Grölen können, nicht wa? Und was bleibt übrig? Der Ottonormalbürger, Beschützer
unserer christlich-jüdischen Abendlandkultur, von der Lügenpresse diffamierter und
von denen da oben verratener Patriot, eben das Volk in seinem Norm: Weiß,
deutsch, christlich oder jüdisch nach Gusto, männlich, gesund,
leistungsorientiert und patriotisch wie kein anderer! Auweia, stellt euch doch
das mal vor: zehntausende Thilo Sarrazins oder noch schlimmer, Henryk
Broders... Izmir übel Leute. Aber, lassen wir doch die Kirche im Dorf: in
Dresden und anderswo gehen ganz normale Menschen, die durchschnittlich gut
verdienen, Jobs haben, ´ne warme Stube, halt etwas Konservativ sind oder wie
wir Commies früher sagten, Kleinbürger auf die Straße. Warum zum Teufel aber werden
aus den ängstlichen Kleinbürgern solche Hassbürger wie die PEGIDAisten
eigentlich? Und wovor haben sie überhaupt Angst?
Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?
Angesichts der Bilder von Enthauptungen,
Massenerschießungen und, erst kürzlich, des feigen »Charlie-Hebdo-Attentats« in
Paris kann der mitteleuropäische Kleinbürger nichts anderes als Angst haben.
Der Autor dieser Zeilen, der selbst aus einem islamischen Kulturkreis entstammt,
kann das sehr gut nachvollziehen. Denn auch er bekommt Angst. – Haben Sie die
Kerle gesehen, schwarz gekleidet (ist zwar modisch, passt aber irgendwie
nicht), in der einen Hand die Machete, in der anderen der Kopf eines
Enthaupteten? Die sind doch hässlich, oder? Die langen, dreckig aussehenden
Bärte sind irgendwie unästhetisch. Da kann man schon Angst bekommen, völlig
verständlich.
Für die Teutonen ist das dann besonders problematisch
– sie werden ja seit Jahrzenten von allen Seiten beschallt mit Aussagen, wie:
»Das Bott ist voll!«, »Zu viele Ausländer in Deutschland« oder »Der Islam
gehört nicht zu uns«. Ganz regierungsamtlich und offiziell. Dann die
Fernsehbilder, und erst die Zeitungen... So kommt was kommen muss: Der
PEGIDAist sieht überall schwarzafrikanische Drogenverkäufer oder kriminelle
Anatolier; tausende Moscheen, wo gewaltbereite salafistische Schläfer hausen;
Millionen Männer ohne Vorhaut; Kopftuchtragende Gebärmaschinen; unser Asylrecht
missbrauchende Terroristen; hunderttausende kleine Öcalans, nicht zu vergessen,
sozialschmarotzende Wirtschaftsflüchtlinge, die unsere Kassen plündern und
Billionen solcher, die danach trachten, Toitschland zu übernehmen. Eine
durchrasste und durchmischte Gesellschaft, in der Toitsche nichts zu sagen haben,
aber Ausländer Sonderrechte genießen – die kriegen ja alle Doppelpässe, wir nur
einen! Deutschland ist zu einem Land verkommen, der die ganze Welt ernähren
soll, während die eigenen Bürger bluten. Nicht mal die alte, gute, bewährte
D-Mark hat man uns gelassen. Wie soll man sich nicht wie ein Fremder im eigenen
Lande fühlen, wie? Dann die Politiker. Verbrecherbande! Alle korrupt.
Volksverräter sind sie, Jawoll, verraten haben sie das eigne Volk. Auf die
Lügenpresse fallen wir auch nicht mehr rein. Wenn das Volk endlich was zu sagen
hätte, dann würde aber richtig aufgeräumt werden mit dem Abschaum. Aber hallo!
Jetzt aber erwacht endlich Deutschland! Wir sind das Volk. Deutsche Interessen
zuerst, Jawoll! Ja, ja die nationale Empörung wächst. Es zieht ein Sturm auf,
der Deutschland von all dem Pack, den blutsaugenden Parasiten und Schmarotzern
säubern wird...
Owei, owei, owei. Ist das nicht krass? Also, es ist
überhaupt nicht zu empfehlen, durch die Augen eines besorgten PEGIDAisten zu
schauen. Halten Sie bitte die Kinder fern. Und Obacht! Kotzgefahr! Einfach nur
schrecklich. Wenn Sie dennoch die PEGIDA »verstehen« wollen, halten Sie bitte
Ihre Kotztüte griffbereit.
Nun, die PEGIDAisten können nix dafür. Sie haben ja
Jahrzehnte lang nichts anderes gesehen oder gehört. Zuerst kam der
Spagettifresser. Dann der Jugo. Der Türke und der Araber etwas später. Das
waren unsere Gastarbeiter. Je länger ihr Besuch dauerte, desto mehr vermehrten
die sich. Unsre Kindergeldkasse bezahlte ja dafür. Deshalb hat der Staat Maßnahmen
getroffen und neue Gesetze erlassen. Wer keinen Asylgrund nachweisen kann, muss
zurück und wenn ein Arbeitsplatz frei wird, dass muss dieser Arbeitsplatz
zuerst einem Deutschen angeboten werden. So ist das Gesetz und das ist keine
Ausländerfeindlichkeit. Mir sin doch keene Nazis! Also so was! Wir wolln, dass
man sich an Recht und Ordnung hält. Jawoll...
Würg! Das ist ja voll ansteckend. Einmal durch die
Augen eines PEGIDAisten geschaut, schon hat man einen bleibenden Schaden.
Fangen wir nochmal an: Also, die PEGIDAisten können nichts dafür, dass sie so
ängstlich sind und sich bedroht fühlen. Die Mehrheitsgesellschaft in
Deutschland hat in den letzten 50 bis 60 Jahren von den Medien, dem Staat, den
Regierenden immer wieder folgendes eingetrichtert bekommen: »Deutschland ist
kein Einwanderungsland«, Punkt, Schluss, aus! Dekrete, Verordnungen, Gesetze,
deren Ausführungsbestimmungen usw. machten das immer deutlich. Institutionalisierte
Diskriminierung- und Ausgrenzungsmechanismen, rassistische Gesetzgebung, Kosten-Nutzen-Demagogie,
Ethnisierung des Arbeitsmarktes, Sündenbock-Politik, Kriminalisierung von
Migrant_*innen, Stigmatisierung als »Unintegrierbare« sowie Diffamierung des
Islams als gewalttätige Ideologie führte u. a. dazu, dass in der
Mehrheitsgesellschaft xenophobe, islamfeindliche und rassistische Ressentiments
sich tief in der sog. gesellschaftlichen Mitte verankerten.
Wohlstandschauvinisten aller
Bundesländer, verp...t euch!
Genau hier, in der sog. gesellschaftlichen Mitte,
findet der Rechtspopulismus seinen wohlbereiteten Nährboden. Das typische
Verhalten des Kleinbürgers, sich nach oben zu buckeln und nach unten zu treten
kann genau hier beobachtet werden. Bei jedem sozialen Einschnitt, sogar bei
jeder Annahme, es könnte zu einem Einschnitt kommen, richten sich die zornigen
Blicke nach unten, zu den Schwächeren. Schuld sind immer andere. Meistens die
Minderheiten, »die da oben«, die »Lügenpresse« oder die EU. Der hasserfüllte
Angstbürger hat darauf nur eine Antwort: Njet! Nein, wolln wir nicht!
Bei näherer Betrachtung dieser teutonischen Haltung
jedoch, wird ein anderer Angst-Aspekt deutlich: Die Angst vor der realen Gefahr
in die Unterschicht zu fallen und dort zu verharren. Für die, durch die Erosion
sozialstaatlicher Errungenschaften traumatisierten Kleinbürger ist diese
Unsicherheit unerträglich. Wenn schon heute die Kapitallebensversicherung
nichts mehr abwirft, was wird morgen sein? Owei, owei!
Hierzu schreibt Horst Kahrs in seinem vorher genannten
Artikel ein paar interessante Fakten, so dass jetzt ein längeres Zitat
notwendig wird: »In der Anti-Euro-Mobilisierung des Bundeswahlkampfes stand die
Verteidigung des durch erfolgreichen Wettbewerb erworbenen Wohlstandes im
Mittelpunkt. Die Euro-Krisenpolitik wurde als Gefährdung der deutschen Wettbewerbsposition
beschrieben, vor allem aber als Wohlstandsgefahr, die von einer ›weichen‹
Währung ausgehe. Die AfD bezog damit eine ökonomisch marktradikal und politisch
neoliberal bemäntelte Klassenposition: die Verteidigung der Zinsen aus
Sparguthaben und Versicherungen gegen die Niedrigzinspolitik der EZB. ›Die
Zinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat in der Tat zu einer
kräftigen Umverteilung innerhalb des Euroraums geführt. Wie aus dem jüngsten
Weltvermögensbericht der Allianz hervorgeht, hat die Niedrigzinspolitik die
Privathaushalte in Deutschland seit dem Jahr 2010 etwa 23 Milliarden Euro
gekostet. Die Spanier wurden hingegen mit 54 Milliarden Euro entlastet, die
Italiener um 39 Milliarden Euro, die Franzosen um 19 Milliarden Euro, die
Portugiesen um 16 Milliarden Euro und die Griechen um 13 Milliarden Euro‹ (FAZ,
222, 24.09.2014, S.23)«. Ha! Da haben wir’s! Wir zahlen und alle anderen
kassieren...
Nu mal langsam, lesen wir bei Kahrs weiter. Kahrs
zitiert zuerst den TV-bekannten Direktor des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn,
aus der FAZ vom 5.12.2014 wie folgt: »Die Sparer verlieren sehr viel Geld.
Deutschland ist absolut gesehen der größte Kapitalexporteur der Welt und, nach
China, das Land mit dem größten Netto-Auslandsvermögen. Wir sind Gläubiger der
Welt und verlieren durch die niedrigen Zinsen. Es gibt zwar Sektoren in
Deutschland wie der Staat, die profitieren. Aber per Saldo sind wir
Nettogläubiger und haben durch die Niedrigzinsen einen großen Verlust. Nach
meiner Berechnung sind den Deutschen seit 2008 etwa 300 Milliarden Euro
entgangen im Vergleich zu den Zinsen, die Ende 2007, vor Ausbruch der Krise, zu
erzielen waren. Pro Jahr beträgt der Verlust jetzt 60 bis 79 Milliarden Euro«.
Boah ey, stellt euch vor, da sind an Zinsen und Zinseszinsen etwa 300
Milliarden Euro entgangen! Das ist ´ne Menge Kies und wenn jetzt die Barrikaden
nicht brennen, da haben wir aber richtig Glück gehabt.
Aber machen wir mit Kahrs weiter: »Der
Wohlstandschauvinismus der AfD findet hier einen realen Bezug zur ökonomischen
Wahrnehmung vieler ›Sparer‹ aus der (oberen) Mittelschicht, hier gerade auch
von Freiberuflern, Selbstständigen und Familienunternehmern, derjenigen, die
auf vermeintlich risikolose Anlagen für die ›Vorsorge‹ statt auf spekulativere
Aktienanlagen für den schnellen Gewinn setzen. Der Standpunkt des risikoarmen
Geldanlegers ist vielen kleinen ›Sparern‹ vertraut. Er verbindet sich mit
hartnäckigem Insistieren auf Durchsetzung bestimmter ökonomischer
Ordnungsprinzipien (Verursacherprinzip, Verschuldungsgrenzen u. a. m.) in der
EU. Der sinkende Garantiezins auf Lebensversicherungen hat hohen politischen
Symbolwert: Die aktuelle Politik von EZB und EU bestraft, so erscheint es,
verantwortungsbewusste private Vorsorge. ›Riestern‹ erwies sich als wenig nützliche
Strategie der Altersvorsorge. Die Bundesregierung, so die Schlussfolgerung,
weicht die Stabilitäts-Kriterien auf und setzt deutsche Interessen in Brüssel
nicht durch«.
Ist doch `n alter Schinken, dieser Film!
Im Grunde genommen sind doch diese Feststellungen
längst bekannt. Oder? Der Wohlstandschauvinismus, die Kritik am sog.
Multikulturalismus, der Vorwurf, Migrant_*innen (besonders Muslimische) seien
»Integrationsunfähig« und würden »die innere Sicherheit gefährden«, die Kritik
an der EU und der Vorwurf, »Deutschland ist Zahlmeister Europas«,
Politikverdrossenheit und Vertrauensverlust, also der Vorwurf, »die korrupten
Eliten vertreten Volkes Interessen nicht mehr«, die Ablehnung des Islams und
das Mär vom »christlich-jüdischen Abendland« - all das hören wir doch seit
Jahrzehnten von der Politik, den Medien und natürlich jedes Mal von den
Rechtspopulisten. Inzwischen gehört es zum Mainstream, gesellschaftliche
Verhältnisse nur nach Kosten-Nutzen-Erwägungen zu beurteilen, zwischen
»rentablen« und »unrentablen« Menschen zu »differenzieren« und einfach die
»Unrentablen« zur Ausschlusspopulation zu erklären. Dieser Film, der uns z.Zt.
serviert wird, ist ein alter Schinken. Ein Ergebnis des neoliberalen Projektes,
wie es bildungssprachlich genannt wird. Hier scheint ein kurzer Rückblick
sinnvoll zu sein:
Die systematischen Angriffe für einen
Paradigmenwechsel und die Werterestauration begann mit der »geistig-moralischen
Wende« der Kohl-Regierung. Die »Schicksalsgemeinschaft deutsche Nation« wurde
mit den Werten des Fleißes, Ordnung, Familie, Produktivität und der »Tugend des
Verzichtes« in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang spricht die Sozialwissenschaftlerin Katrin Reimer von drei Perioden des neoliberalen Projektes, die für
die Verankerung rechtspopulistischer Positionen in der Mehrheitsgesellschaft
die Rahmenbedingungen geschaffen haben. Diese unterscheiden sich in Bezug auf
Hegemonieverhältnisse.
Reimer zählt folgendes auf: Phase 1:
Kohl-Thatcher-Reagan-Ära. Das politische Ziel in dieser Ära war die Schwächung
der kollektiven Rechte und das Aufbrechen der Kräfteverhältnisse. Während in
Deutschland die Kohl-Regierung diese Aufgabe übernahm, waren europaweit
rechtspopulistische Parteien dabei, den Paradigmenwechsel mit dem Druck von
rechts herbeizuführen. Die Prekarisierung der Lohnarbeit nahm zu. Gleichzeitig
wurde in Deutschland die fremdenfeindliche Stimmung geschürt. Neonaziangriffe,
Morde wie in Solingen, Mölln und Hünxe, der sog. »Asylkompromiss« und Aufwind
für rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien waren die Folge. Nach dem
sog. »Asylkompromiss« endeten die rassistischen Übergriffe abrupt.
Phase 2: Sozialdemokratische Ära. Obwohl die SPD im
Wahlkampf 1998 ihren Schwerpunkt auf die soziale Gerechtigkeit gesetzt hatte,
änderte Rot-Grün innerhalb weniger Monate ihre Politik. Die Verallgemeinerung
des Neoliberalismus genoss eine hohe Zustimmung. Dennoch gab es Kämpfe im
neoliberalen Block. 1999 konzentrierten sich diese Kämpfe um die doppelte
Staatsangehörigkeit. Die Unterschriftenkampagne der hessischen CDU bekam
bundesweit eine hohe Zustimmung. 1999
war das Jahr, in der einer der wichtigsten Tabubrüche der Bundesrepublik,
nämlich der erstmalige Auslandseinsatz der Bundeswehr beschlossen wurde (der
völkerrechtswidrige Jugoslawien-Krieg). In dieser Phase begann auch der
Lissabon-Prozess der EU, die Militarisierung der Außenpolitik und der neoliberale
Umbau wurde europaweit beschleunigt. Mit dem »Krieg gegen den Terror« nach den
Angriffen am 11. September 2001 verfestigte sich der »Kampf der Kulturen« in
der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der Islam wurde zu einer Bedrohung für
die »westliche Lebensweise« hochstilisiert. Was zuerst an den Schwächsten der
Gesellschaft, nämlich den Asylsuchenden und Flüchtlingen praktiziert wurde
(Kürzung der Sozialhilfe, Sanktionen, Sachhilfen, »Fördern und Fordern« usw.),
wurde auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet. Hartz-Gesetze wurden umgesetzt.
Phase 3: Diese Phase dauert noch an.
Prekarisierungsfolgen sind für viele Menschen sehr negativ. Die sozialen
Ungleichheiten verstetigen sich. Wer arm geboren wird, stirbt als Armer. Der
Arbeitsmarkt ist weitgehend flexibilisiert, die Arbeits- und Lebensbedingungen
verschlechtern sich. Auch wenn die bürgerlichen Kräfte die »zurückhaltende
Lohnpolitik«, »schmerzhaften Einschnitte« und die »Vollbeschäftigung in
Süddeutschland« als Erfolge feiern, so müssen immer noch rund 1,4 Millionen
»Vollbeschäftigte« trotz Vollzeit ihr Einkommen durch staatliche Beihilfen
aufstocken. Jeder sechste Mensch, also rund 13 Millionen Menschen gelten als
Arm. 2,4 Millionen Kinder sind akut von der Armut betroffen – in einem
reichsten Land der Erde! Große Teile der Bevölkerung leben mit der Angst, in
die Unterschichten zu fallen. Globale Krisen und deren Unsicherheiten führen zu
weiteren Ängsten. Die Leistung und Einsatz eines jeden Einzelnen für den Zugang
zu gesellschaftlichen Ressourcen wird als gegeben hingenommen. So verkommt die
Mehrheitsgesellschaft zu einer Angstgesellschaft und wird immer mehr anfällig
für diverse Bedrohungsszenarien, die von den neoliberalen Kräften genüsslich
gefördert werden.
... und? Was hat das alles mit der
deutschen Außenpolitik zu tun?
Der neoliberale Umbau der letzten 30 Jahre hat in der
Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik tiefe Spuren hinterlassen. Heute wird
von der Mehrheit nicht nur die »Allgemeingültigkeit« der Kosten-Nutzen-Logik,
die Leistungsvoraussetzung für den Zugang zu den gesellschaftlichen Ressourcen
und die individuelle Verantwortung eines Einzelnen für dessen Erwerbslosigkeit
weitgehend akzeptiert, sondern auch die Tatsache, dass Migrant_*innen und
besonders Muslime pauschal unter Kollektivverdacht gestellt und ihre Rechte und
Freiheiten durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt werden. Die Aushöhlung bzw.
Relativierung von Grundrechten von Migrant_*innen, denen vorgeworfen wird,
antiwestliche Kräfte zu unterstützen, wird von der Mehrheitsgesellschaft als
notwendige Maßnahme für die innere Sicherheit angesehen. Der rassistische Hass
wiederum, der heute erstmals nicht nur von Nazis oder Rechtsradikalen, sondern
wie in Dresden von einer großen Anzahl von bisher nicht aktiven »Bürgern« auf der
Straße offen artikuliert wird, wird zu einem wirksam inszenierten Argument für
eine zunehmend autoritärer gestaltete Migrationsregime.
Hier schließt sich der Kreis: bei den rassistischen
Massendemonstrationen zeigt sich nicht nur die Angst der sog. Mittelschichten
ins Prekariat abzustürzen, sondern auch die Angst der westlichen, ach so
zivilisierten Welt vor dem Verlust der Hegemonie gegenüber dem Rest der Welt.
In diesem Zusammenhang werden völkerrechtswidrige Kriege, Besatzungen und
Interventionen der NATO-Staaten als Mittel der Politik akzeptiert.
Systematische Außerkraftsetzung von Menschenrechten wie in den Folterlagern von
Guantanamo und anderswo wird als »notwendiges Übel« hingenommen – genau wie die
Tatsache, dass zivilisatorische Normen außerhalb des Westens keine Gültigkeit
mehr haben.
Ohne Frage: Neoliberalismus und rechtspopulistische,
rassistische Grundhaltungen in der Mehrheitsbevölkerung sind jeweils die eine
Seite derselben Medaille. Der Rechtspopulismus hat sich zu einem
Herrschaftsinstrument entwickelt, mit der nicht nur die Widerstandspotentiale
in der Bevölkerung gebrochen werden, sondern gleichzeitig die Akzeptanz der
herrschenden Macht- und Eigentumsverhältnisse als Gottgegeben verfestigt und
imperialistische Interventionskriege als Notwendigkeit für den Erhalt der
Freiheiten, der bürgerlichen Demokratie und des Wohlstandes der westlichen Welt
gesehen werden. Die Anfälligkeit der Mehrheitsgesellschaft für die Propaganda
des sog. »Krieges gegen den Terror« bzw. der »Kriege für die Sicherstellung der
Menschen-, Frauenrechte und Demokratie«; die Verankerung von Rassismus und
Wohlstandschauvinismus im Zentrum der Mehrheitsgesellschaft sowie der Erfolg
von Thilo Sarrazin u. a. Rechtspopulisten sind Ergebnisse dieses
Entwicklungsweges.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich die
rassistischen Massendemonstrationen just zu dem Zeitpunkt durchgeführt werden,
wo die herrschende Politik mit aller Macht in der Außen- und Sicherheitspolitik
Tabubrüche durchzusetzen versucht. Die »Neue Verantwortung« des »wieder im
Zentrum des Kontinents« stehenden Deutschlands wird uns von höchsten Stellen
ständig eingetrichtert. Während sich der Bundespräsident wie ein Militärpfaffe
aus Zeiten der Kreuzzüge verhält, der stramm so-zi-al-de-mok-ra-ti-sche
Außenminister eifrig Pflugscharen zu Schwertern schmiedet, die allzeit zum
Handeln bereite Verteidigungsministerin sich rührend um die Kinderbetreuung für
die Träger des »Tucholsky-Ordens« (unser besonderer Gruß gilt Oberst Klein aus
Kunduz!) kümmert und dabei den Applaus der olivgrünen Oppositionsfraktion im
Deutschen Bundestag bekommt, bearbeiten die bürgerlichen Medien fleißig die
Heimatfront. Inzwischen muss kein Bundespräsident mehr zurücktreten, nur weil
er die Wahrheit ausspricht.
Da das Erinnerungsvermögen der bürgerlichen
Gesellschaft meist zu wünschen übrig lässt, wollen wir die Aussage des
Ex-Bundespräsidenten Horst Köhler, vom 22. Mai 2010 im Deutschlandradio ins
Gedächtnis rufen: »Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege
sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land
unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch
Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch
militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, z.B. freie
Handelswege, z.B. ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit
Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel,
Arbeitsplätze und Einkommen. Alles soll diskutiert werden und ich glaube, wir
sind auf einem nicht so schlechten Weg«.
Doch der Herr Köhler war auf dem Holzweg, in dem er
glaubte, das Weißbuch für die Bundeswehr einfach so zitieren zu dürfen. Die
Gesellschaft war damals noch nicht reif geschossen worden, also wurde er
abgeschossen. Pech gehabt. Aber heute ist es anders. Heute redet jeder, der was
von sich hält davon, dass »die Sicherheit und wirtschaftliche Interessen
Deutschlands am Hindukusch verteidigt« werden müsse.
Aber das reicht nicht aus, um für die Militarisierung
der Außenpolitik, Teilnahme an Interventionskriegen und imperialistischen
Sehnsüchten des deutschen Kapitals die notwendige bürgerschaftliche
Legitimation zu holen. Auslandseinsätze werden weiterhin kritisch beäugt und
sogar die rechtspopulistische AfD lehnt diese ab. Na ja, die AfD ist ja nicht grundsätzlich
dagegen – laut ihrem Programm befürwortet die AfD keine Auslandseinsätze, »es
sei denn, es besteht daran ein begründetes nationales deutsches Interesse«.
Schau Horst, da passt kein Blatt zwischen euch: freie Handelswege, Sicherung
des Zugangs zu Ressourcen und Weltmärkten, Energiesicherheit – das alles sind
doch nationale toitsche Interessen, die zu wahren sind, »selbst wenn andere
daran zugrunde gehen«, oder? Auch in der grundsätzlichen Orientierung
Deutschlands kann man keine Unterschiede feststellen: Für die AfD »ist und
bleibt die Nato die Klammer einer transatlantischen Sicherheitsarchitektur,
deren entscheidender Anker das Bündnis mit den USA ist«.
Große Unterschiede zwischen dem neoliberalen Block aus
CDU/CSU, SPD, Grüne sowie AfD und der neuen
»Wir-sind-das-richtige-Volk-Bewegung« PEGIDA kann auch nicht festgestellt
werden. So ist z.B. im Positionspapier der PEGIDA zu lesen, dass sie »gegen
Waffenlieferungen an verfassungsfeindliche, verbotene Organisationen wie z.B.
PKK« sind, aber wer denkt, dass die PEGIDA auch gegen die Rüstungsexporte, so
z.B. an die wahhabitischen Despoten in Saudi Arabien wäre, der irrt sich. Dabei
sind doch gerade die Herrscher und reiche Familien in Saudi Arabien dafür
verantwortlich, dass weltweit salafistische Propaganda betrieben wird. So
unschuldig an dem sog. »Islamischen Staat« sind sie auch nicht. Aber was bedeutet das schon, wenn in Saudi
Arabien jeden Tag Todesstrafen durch Enthauptung vollzogen oder Hände abgehackt
werden und Menschenrechte nicht existent sind. Einem guten Kunden drückt man
schon ein Auge zu. Hauptsache der Euro rollt und die heiligen Arbeitsplätze
sind gesichert. Die Bundesregierung setzt genau dies um: Die 45 Milliarden
Barrel Erdölreserven im Nordirak im Sinne, werden dem kurdischen Fürsten Mesud
Barzani Waffen geliefert, aber die PKK, die wirksam gegen das Terrorkalifat
kämpft bleibt hierzulande weiterhin verboten. Die Saudis erhalten Panzer zur
Aufstandsbekämpfung, aber Frau Merkel kritisiert nicht mal das Frauenfahrtverbot
in Saudi Arabien, die mit Peitschenschlägen bestraft wird.
Und die Moral der Geschichte?
Die wahlpolitischen Erfolge der AfD und der rechte
Druck der Straße ist den Herrschenden ein willkommener Anlass dafür zu sorgen,
dass die neoliberale Agenda und Militarisierung der Außenpolitik durch
gesellschaftliche Legitimation eine neue Dynamik erhält. Frei nach Brecht: Noch
brauchen sich die Herrschenden kein neues Volk zu wählen. Noch ist das »Volk«
egoistisch genug, um das Auseinanderdriften gesellschaftlicher Gruppen selber
zu organisieren. Eingelullt vom Doppelmoral und der Heuchelei der Herrschenden
lässt sich das »Volk« treiben – zum Hass auf andere, zur »sozialen
Nationalismus«, zum totalen Krieg gegen den Terror.
Längst ist die Kulturalisierung und Ethnisierung der
sozialen Frage Allmächtig (Richard Gebhardt) geworden. Herrschende wie
Beherrschte differenzieren sogar die Opfer. Während die feigen Attentate in
Paris von der Herrschenden für Aushöhlungsversuche der Demokratie und von den
PEDIGAisten für ihre »Sache« instrumentalisiert werden, waren die rund 2.000
Frauen, Männer und Kinder, die in Nigeria einige Stunden nach den Pariser
Attentaten von der islamistischen Terrorgruppe niedergemetzelt wurden, gerade
mal nur eine Randnotiz in den bürgerlichen Medien und der gesellschaftlicher
Wahrnehmung im Westen. Dabei gab es zwischen den Pariser Terroristen und ihren
Gesinnungsgenossen von Boko Haram keine ideologischen Unterschiede. Und heute
redet niemand mehr davon.
Es redet auch keiner davon, dass der Terror in vielen
Teilen der Welt zum Alltag der Menschen geworden ist. Noch im Dezember 2014
hatten die Schlächter von Al-Schabab in Kenia 36 Bergbauarbeitet exekutiert und
die Taliban-Schergen im nordpakistanischen Peschavar 148 Menschen getötet. Von
der Schreckensherrschaft des Terrorkalifats in Syrien und Irak ganz zu
schweigen. Es wird auch zu gerne vergessen, wie der islamistische Terror
überhaupt entstanden ist und welche Verantwortung gerade jene Länder dafür
tragen, die völkerrechtswidrige Kriege und Besatzungen durchführen, Foltern und
mit Drohnenangriffen Zivilisten töten, Despoten und Warlords unterstützen, mit
ihren internationalen Finanzinstitutionen Länder unter ihre Diktate zwingen und
die weltweite Plünderung von Rohstoff- und Energiereserven durch transnationale
Konzerne fördern. An Brecht sei wieder erinnert: »Reicher Mann und armer Mann
standen da und sahn sich an. Und der Arme sagte bleich: ›Wär ich nicht arm,
wärst du nicht reich‹.«
Was nützen da Appelle an Menschlichkeit und Solidarität
mit den Flüchtlingen, wenn der Mob genau weiß, dass es um seine Interessen
geht? Was nützen Zahlen und Statistiken, dass die wahre Zahl der Muslime doch
nicht so hoch sei, wenn die rassistische Gesetzgebung und die institutionellen
Diskriminierungsmechanismen weiterhin gültig sind? Was nützen Dialogaufrufe
linker Politiker, dass man »die besorgten Bürger mit den Rattenfängern nicht
alleine lassen« dürfe, wenn gerade diese besorgten Bürger mit aller Macht ihren
Wohlstand, ihre privilegierte Stellung und ihre Zinsen verteidigen wollen? Was
nützen Gegenstrategien um Nazis zu bekämpfen, wenn der Rassismus nicht nur am
Rande, sondern im Zentrum der Mehrheitsgesellschaft verankert ist?
Die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland
vollzieht sich im rasanten Tempo. Gesellschaftliche wie politische Linke können
dagegen nur dann wirkungsvoll entgegen treten, wenn sie die Macht- und
Eigentumsfrage stellen. Wer von Rassismus und Faschismus redet, darf eben von
Kapitalismus und Imperialismus nicht schweigen (frei nach Max Horkheimer).
Alles andere wäre nur das Reden um den heißen Brei herum.
Lang ist es geworden. Enden sollte aber eine solche
Streitschrift nicht, ohne ein Patentrezept zur Problemlösung zu bieten. Also,
gebt acht!
Auf den PEGIDA-Demonstrationen ist immer wieder davon
die Rede, dass bald ein »Bevölkerungswechsel« in Deutschland stattfinden werde
und dann die Deutschen nur noch eine Minderheit seien. Mancherorts wären
zweidrittel der Neugeborenen Kinder von Ausländern. Gepaart mit den
demographischen Schreckensmeldungen (Dank der Versicherungswirtschaft), dass
sich die Zahl der Bio-Deutschen bald halbieren wird, sorgen diese Aussagen für
Panikattacken. Aber keine Sorge. Es gibt eine Lösung! Schon im März 1999, hatte
der Nürnberger Ausweis-Deutsche, Tuncay Kulaoğlu in einem Artikel im
GDF-Aktuell zum Thema Doppelpass die Lösung preisgegeben. Siehe hier:
»Die Endlösung der Deutschenfrage... wird biologischer
Natur sein. Den Tipp dazu entnehmen wir dem seriösen Berliner Blatt ›BZ‹.
Bereits vor einem halben Jahr haben die Schreiberlinge des investigativen
Journalismus die Gegenstrategie zum Doppelburger aufgezeigt. Die Lösung heiß:
Viagra! Jawohl, Viagra. Die Lösung ist einfach und genial zugleich. Mann
schlucke die blauen Tabletten und ab geht die Vermehrung der völkischen
Nachkommen. Ohne Risiken und Nebenwirkungen. Nicht umsonst hieß es vor einem
halben Jahr auf der Titelseite der Zeitung: ›Da staunt der Türke. Endlich geht
es wieder: Danke Viagra, wieder mehr Berliner in Berlin!‹ Also, was in Berlin
geht, müsste eigentlich in allen deutschen Landen funktionieren. Und so könnte
der deutsche Babystofferzeuger diesem karnickelhaften anatolischen
Vermehrungswahn einen endgültigen Riegel vorschieben. Es wurde auch Zeit! [...]
Jetzt brauchen sie nur noch diese medizinische Wunderwaffe einzusetzen. Dann
können noch so viele Doppelburger kommen. Der Bestand des Reinheitsgebots
deutschen Blutes wäre auf tausend Jahre gesichert. Irgendwann muss es ja
klappen.«
Also, liebe PEGIDAisten, anstatt rummähren in die
Apotheke mit euch und los geht’s! Hört auf Kulaoğlu: »Es kann nicht schaden.
Die Endlösung der Deutschenfrage könnte dann mit viel Lust und auf friedlichem
Wege biologisch herbeigeführt werden«. Was wollt ihr denn mehr, die ganze Welt?