Türkeistämmige und kurdische FriedensaktivistInnen und die Friedensbewegung in Deutschland
Was sich als eine fiktive Geschichte anhört,
ist keines und könnte womöglich in den letzten Jahren auf allen möglichen
Friedensdemonstrationen in Deutschland immer wieder beobachtet werden. Ein
kurdischer Aktivist sagt: »Ich lebe nun seit mehr als 30 Jahren in Deutschland
und bin genauso lange in der hiesigen Friedensinitiative aktiv. Meine Frau,
meine Freunde und ich sind immer dabei, wenn gegen den Krieg und für Frieden
demonstriert wird. Aber jedes Mal stelle ich fest, dass die deutschen Kollegen
sich kaum über die Entwicklung in Kurdistan oder in der Türkei interessieren.
Da wird mit deutschen Waffen ein Krieg geführt, aber keiner interessiert sich dafür.
Wieso, ist das kein Krieg? Werden wir nur dann demonstrieren, wenn eben
deutsche Soldaten dabei sind? Ich verstehe es nicht.«
Nun wird man entgegen, dass die
Friedensbewegung sich immer wieder mit der Entwicklung des kurdisch-türkischen
Konflikts befasst habe und auch im Internet zahlreiche Artikel dazu zu finden
sind. Sicher, wenn nicht die deutsche Friedensbewegung, wer dann? Die Frage des
kurdischen Aktivisten ist aber dennoch berechtigt, weil – selbstkritisch
betrachtet – vielmals Afghanistan oder Mali »viel näher« erscheint als
Kurdistan.
Aus der Friedensbewegung ist wiederum zu
hören, dass türkeistämmige und/oder kurdische AktivistInnen kaum Interesse für
die Aktivitäten der Friedensbewegung zeigen und nur sporadisch an
Demonstrationen teilnehmen. »Im Grunde sind sie nur dann da, wenn es um die
Freiheit von Öcalan geht oder eine Unterschriftenaktion stattfindet« hört man.
Auch das ist richtig.
Wie aber nun mit dem Problem umgehen? Ein
Patentrezept kann niemand vorweisen, aber »Aufklärung« wäre sicher ein
Schlüsselbegriff. Aufklärung darüber, was wirklich in der Türkei und in
Kurdistan vorgeht, wer die Akteure sind, wie ein schmutziger Krieg auch von
Europa, insbesondere von der Bundesregierung unterstützt wird oder was das
alles mit der NATO zu tun hat. Viele deutsche Friedensbewegte haben keine
Kenntnisse darüber, dass KurdInnen aufgrund des »PKK-Verbots« nur dann
demonstrieren dürfen, wenn es um die persönliche Situation von Abdullah Öcalan
geht und ansonsten sie nach dem § 129b StGB wegen der »Verwendung von
verbotenen Zeichen« oder »Unterstützung einer ausländischen terroristischen
Organisation« strafrechtlich belangt werden könnten. Dafür reicht mancherorts
aus, rot-grün-gelbe (kurdische Nationalfarben) Schals zu tragen – auch bei
Friedensdemonstrationen.
Umgekehrt ist Aufklärung über die
Friedensbewegung für die türkeistämmigen und kurdischen AktivistInnen
notwendig. Kenntnisse über die Zusammensetzung der Friedensbewegung, deren
Möglichkeiten und über deren politische Vielfalt. Und darüber, dass die
Friedensbewegung nicht nur eine wichtige, sondern zugleich natürlichste
Bündnispartnerin für die türkeistämmigen und kurdischen Friedensbewegten ist.
Vor allen Dingen ist die Friedensbewegung
in Deutschland diejenige Kraft, die einen Einfluss auf die deutsche
Türkei-Politik ausüben könnte. Immerhin ist die deutsche Türkei-Politik, welche
sich seit den Tagen des Kolonialstrategen Paul Rohrbach (1911) kaum geändert
hat, die wichtigste Stütze für die Kurdenpolitik der türkischen
Entscheidungsträger. Für die Türkei ist Deutschland nicht nur der wichtigste
Wirtschaftspartner, sondern der größte Rüstungslieferant der türkischen Armee.
Auf der anderen Seite wären die
türkeistämmigen und kurdischen Friedensbewegte mit ihren Mobilisierungskräften
eine große Stütze für die friedenspolitischen Aktionen und europaweiten
Kampagnen, da sie nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen
europäischen Länder organisiert sind. Um einen Missverständnis vorzubeugen: Es
geht nicht darum, sie als Mobilisierungsmasse zu bezeichnen. Um ihre
Demonstrationen zu organisieren bedürfen z.B. die kurdischen Organisationen
keiner größeren Anstrengung – ein großer Teil der kurdischen MigrantInnen ist
hoch politisiert. Es fehlen seitens der deutschen Friedensbewegung Signale, die
deutlich machen, dass sie sich der Sache der kurdischen MigrantInnen annimmt.
Jede weitere Eskalation in den kurdischen Gebieten, jede weitere Repression und
jeder weitere Tote bestimmt das Leben der KurdInnen in der Migration. Im Grunde
genommen, wenn man die deutsche Türkei-Politik, die regierungsamtliche
Sonderbehandlung der KurdInnen in Deutschland, aber auch die
rüstungspolitischen und geostrategischen Interessen der deutschen Wirtschaft im
Nahen und Mittleren Osten betrachtet, wäre es im ureigenen Interesse der
deutschen Friedenspolitik, wenn sie ihr Augenmerk, »weit hinten in (die)
Türkei... wo sich die Völker die Köpfe einschlagen« (Goethe) richten würde.
Die moderne Arbeitsmigration, aber auch
die Situation der Flüchtlinge in Europa haben einen besonderen
Charakteristikum: Aufgrund der »verkürzten« Verkehrswege in die
Herkunftsländer, der Satellitenfernseher und elektronischen Medien führen
MigrantInnen und Flüchtlinge quasi ein Doppelleben – auf der Straße, in der
Schule, im Betrieb sind sie in Deutschland, aber in der Wohnung, im Viertel
oder in den Vereinslokalen erleben sie die »Heimat« mit all ihren aktuellen
Entwicklungen. Sicher haben die restriktive Migrations- und Flüchtlingspolitik
sowie das subjektive Gefühl der »Nichtdazugehörigkeit« einen entschiedenen
Anteil an der Selbstisolation der migrantischen Gruppen. Und sicher ist es auch
ein Ergebnis der organisierten Zivilgesellschaft, dass sich MigrantInnen in
zahlreichen Vereinen, Verbänden, Interessensgruppen und Initiativen
zusammenschließen. Daraus erwächst jedoch zugleich ein Konfliktpotential,
welches auch die Mehrheitsgesellschaften in Europa betrifft: Jede Eskalation im
kurdisch-türkischen Konflikt, jedes nationalistisch-rassistische Pogrom in der
Türkei führt zu Auseinandersetzungen auch in den deutschen Städten. Der Krieg
in Kurdistan, der kurdisch-türkische Konflikt im Allgemeinen, hat das
Potential, die Straßen von europäischen Metropolen in einen Flächenbrand zu
verwandeln. Organisierte Angriffe türkischer Nationalisten auf türkeistämmige
und kurdische FriedensaktivistInnen, die von der Bundesregierung hingenommene
und teilweise unterstützten Aktivitäten des türkischen Staats auf deutschem
Boden haben dies in der jüngsten Vergangenheit mehrfach unter Beweis gestellt.
Für die deutsche Friedensbewegung stehen
hier mehrere Zusammenhänge. Zum einen die Rüstungsexporte in die Türkei und die
deutsche Türkei-Politik. Die »Wahrnehmung« der geostrategischen und
wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitals machen einen »schmutzigen
Krieg«, Repressionen und Unterdrückung in einem anderen Land möglich. Mehr
noch: die Stationierung von Patriot-Raketen und Bundeswehrsoldaten in der
Türkei zeigt, wie Deutschland in einen Regionalkrieg hineingezogen werden kann.
Zum anderen steht die Demokratiefrage im
Raum. Mit Verboten, Geboten und Stigmatisierungen werden türkeistämmige, aber
vor allem kurdische FriedensaktivistInnen kriminalisiert. Diese
Kriminalisierung wiederum begründet den Abbau von demokratischen Rechten, die
zuerst gegen MigrantInnen gerichtet ist, aber, wie oft in der Vergangenheit
beobachtet, sehr schnell auf die Gesamtbevölkerung ausgeweitet werden.
Kurzum, es ist von Nöten, dass
türkeistämmige und kurdische FriedensaktivistInnen und die deutsche
Friedensbewegung aufhören würden, aneinander vorbei zu reden. Um das Kind mit
dem Namen zu nennen: der kurdisch-türkische Konflikt ist zugleich ein deutsches
Problem und muss damit ein Gegenstand der deutschen Friedensbewegung sein. Das
bedeutet aber auch, dass türkeistämmige und kurdische FriedensaktivistInnen ein
Bestandteil der deutschen Friedensbewegung sein müssen. Es ist unerheblich,
welche Herkunft man hat. Gemeinsam für den Frieden zu streiten, das ist das
Gebot der Stunde!