Über den Besuch eines türkischen
Despoten und der Doppelzüngigkeit deutscher Politik
Wer’s
glaubt, wird selig! Als ob in der BRD die »europäischen Werte« nicht längst
ausgehöhlt wären und diese in der Türkei je gegolten hätten, bescheinigt
Wolfgang Bosbach (CDU)[1]
dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan, dass »die Türkei sich unter ihm mit
Riesenschritten von europäischen Werten« entferne. Aus allen
Bundestagsfraktionen sind ähnliche Worte zu hören: Erdoğan scheint in Köln
nicht willkommen zu sein.
Die
Bundesregierung ist da anderer Auffassung und heißt Erdoğan, »als
Ministerpräsident eines Landes, das uns ein wirklich enger und wichtiger
Partner ist«[2]
herzlich Willkommen. Dennoch scheuen nicht, weder Regierungssprecher Seibert
(»wir erwarten ein sensibles, ein verantwortungsvolles Auftreten«), noch der
Außenminister Steinmeier[3]
(»unsere Demokratie hält es aus, wenn sich Herr Erdoğan an seine Landsleute
wendet«) kleinere Seitenhiebe zu verteilen – immerhin sind am 25. Mai
Europawahlen und schließlich will das Wahlvolk »Tacheles« hören.
Dieser
Wahlkampf und innenpolitische Motivationen sind wohl der Grund für den
Erdoğan-Bashing der Politiker vom neoliberalen Einheitsfront, die den
verpesteten Atem der AfD gefährlich nahe an ihrem Rücken spüren. Wahrscheinlich
haben gehässige Mäuler doch recht, wenn sie behaupten, dass der eigentliche
Erfolg des Rechtspopulismus, was ein Kind des neoliberalen Umbaus ist, nicht an
Wahlergebnissen, sondern darin zu messen sei, wie sehr diese Aussagen von der
etablierten Politik übernommen werden. In Verbindung mit dem Erdoğan-Besuch in
Köln sind alle bürgerlichen Parteien im Wettrennen diese Behauptung zu
beweisen.
Dabei
wissen sie alle, dass die deutsch-türkischen Beziehungen viel zu wertvoll, gar zu
strategisch sind, um sie wegen eines dahergelaufenen türkischen Despoten zu
opfern. Natürlich ist es allen Empörten bekannt, dass das NATO-Mitglied Türkei
das offizielle Partnerland der diesjährigen Internationalen Luft- und
Raumfahrtausstellung ILA 2014, einer der weltweit wichtigsten Rüstungsmessen
ist. Wahrscheinlich ist es ihnen auch bekannt, dass die deutsch-türkischen
Wirtschaftsbeziehungen bis an die Zeit des Osmanischen Reiches zurückreichen
und seit Paul Rohrbach (1911)[4]
die »Unterstützung einer starken Türkei« für das deutsche Kapital und dessen
politischen Vertreter eine »strategische Imperative« ist -»egal ob daran
Armenier« – oder eben andere Völker – »zugrunde gehen oder nicht« (Reichskanzler
Bethmann-Hollweg).
Ein
kurzer Blick in die regierungsnahe Presse könnte auch für den letzten
Begriffsstutzigen sehr informativ sein. So schreibt Gerd Höhler im Handelsblatt
folgendes[5]:
»(...) Inzwischen beläuft sich das bilaterale Handelsvolumen auf rund 33
Milliarden Euro, womit Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner der Türkei
ist. Auch bei den ausländischen Investitionen liegt Deutschland mit rund zwölf
Milliarden Dollar seit 1980 an der Spitze. Mitte der 1990’er Jahre gab es etwa
500 Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei. Heute sind es
bereits annähernd 6.000. (...) Für viele ist das Land nicht nur wegen seines
großen Binnenmarktes und seiner jungen, konsumfreudigen Bevölkerung
interessant, sondern auch als strategisch günstig gelegener Produktionsstandort
für Exporte nach Nahost, Asien und Afrika.«
Seit
dem ersten Wahlsieg der AKP in 2002 wird Erdoğan von den Bundesregierungen nach
allen Kräften unterstützt und für die »mutigen Reformschritte« gelobt. Immerhin
ist die Türkei eines der Länder, die mit westlicher Hilfe die Privatisierungen,
Deregulierungen und Flexibilisierungen am besten umgesetzt und den
autoritär-neoliberalen Umbau am weitesten fortgeführt haben. Es war kein
geringerer als der ehem. Bundespräsident Wulff, der die Türkei »als Vorbild für
die arabische Welt« anpries[6]
und es war die Merkel-Regierung, die trotz der massiven Polizeigewalt während
des Juni-Aufstandes in 2013 auf der Eröffnung neuer Kapitel im
EU-Heranführungsprozess bestand.
Dass
nun der neoliberale Konvertit Erdoğan die deutschen Gemüter erhitzt, ist kein
Geheimnis. Sein autoritärer Führungsstil mag ein Grund dafür sein. Auch in
Berlin musste man inzwischen eingestehen, dass die
islamistisch-nationalistisch-neoliberale AKP mit der bürgerlichen Demokratie
nicht kompatibel ist. Es sind aber in erster Linie die
regionalimperialistischen Ambitionen der AKP, die in Berlin als ein Risiko für
die »Energiesicherheit« und geostrategischen Interessen angesehen werden. Ein
polarisierender und zu starker Erdoğan ist für die politische Klasse in
Deutschland nicht genehm. Die heuchlerische Kritik an ihm dient dazu, ihn zu
züchtigen. Denn für die Interessen des deutschen Kapitals gilt weiterhin: die
Türkei ist an der Kandare zu halten – ob mit oder ohne Erdoğan!
Daher
bleiben Forderungen mancher Linken in Deutschland an die Bundesregierung
(»Deutsche Unterstützung für Erdoğan beenden« etc.) nicht mehr als leere
Worthülsen. Die beste Unterstützung für die demokratischen Kräfte und die
arbeitende Klasse in der Türkei wäre, wenn gesellschaftliche und politische
Linke in Deutschland ihre eigenen Hausaufgaben erledigen und sich nicht an der
unerträglichen Heuchelei beteiligen würde.
[1] Siehe:
http://www.deutschlandfunk.de/erdogan-auftritt-in-koeln-konflikte-werden-nach-deutschland.694.de.html?dram:article_id=285853
[2] Siehe: http://www.faz.net/aktuell/politik/tuerkischer-ministerpraesident-in-deutschland-bundesregierung-wuenscht-sich-sensiblen-erdogan-12946193.html
[3] Siehe:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-05/erdogan-wahlkampf-koeln-proteste-kritik
[4] Paul Rohrbach (1911) in Nikolaus Brauns: Die
deutsch-türkischen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg 1914. Magisterarbeit.
Institut für Neuere Geschichte der Universität München. Wintersemester
1996/1997
[5]
http://www.handelsblatt.com/politik/international/deutsch-tuerkischen-wirtschaftsbeziehungen-enge-bande/9806016.html
[6]
http://www.merkur-online.de/aktuelles/politik/wulff-lobt-deutsch-tuerkische-beziehungen-1411518.html