Parlamentswahlen in der Türkei – Eine
Wahlnachtanalyse
Die Türkei hat gewählt. Diese Parlamentswahlen stellen
in der 13-jährigen AKP-Ära eine eindeutige Zäsur dar. Jetzt steht es fest: in
der Türkei wird nichts mehr so sein, wie es bisher war. Das zeigte sich schon
während der Wahlkampfphase. Die Entscheidung des Linksbündnisses HDP
(Demokratische Partei der Völker) anstatt mit unabhängigen Kandidat_innen
erstmals als Partei an diesen Wahlen teilzunehmen und gleichzeitig das
Bestreben des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğans, diese Wahlen quasi zu
einem Referendum für sein autoritäres Präsidialsystem umzuwandeln, hat diese
Wahl zu einem Schicksalswahl gemacht.
Gegen 19:00 Uhr (MEZ), als die ersten Hochrechnungen veröffentlicht
wurden, war in den sozialen Medien ein großes Aufatmen zu spüren. Es wurde
deutlich: durch die Überwindung der undemokratischen 10-Prozent-Wahlhürde durch
die HDP war das von Staatspräsidenten Erdoğan favorisierte Präsidialsystem
endgültig passé. Die AKP (Partei der Gerechtigkeit und Aufschwung) hat ihre
absolute Mehrheit verloren und ist auf ein Koalitionspartner angewiesen. AKP
verliert gegenüber der Parlamentswahlen von 2011 über 9 Prozent an Zustimmung.
Die HDP zieht mit knapp 13 Prozent und knapp 80 Abgeordneten in das türkische
Parlament ein. Die größte Oppositionspartei, die kemalistische CHP
(Republikanische Volkspartei) verliert rund 1 Prozent und kommt auf 25,1
Prozent. Die neofaschistische MHP (Partei der nationalistischen Bewegung) gewinnt
rund 3 Prozent und zieht mit 81 Abgeordneten in das Parlament ein.
Das vorläufige Endergebnis (8. Juni
2015, 23:00 Uhr):
Parteien
|
7.
Juni 2015
|
12.
Juni 2011
|
22.
Juli 2007
|
3.
November 2002
|
||||
i.
v. H.
|
Sitze
|
i.
v. H.
|
Sitze
|
i.
v. H.
|
Sitze
|
i.
v. H.
|
Sitze
|
|
AKP
|
40,93%
|
258
|
49,8 %
|
327
|
46,7 %
|
341
|
34,3 %
|
365
|
CHP
|
25,08%
|
132
|
26,0 %
|
135
|
20,9 %
|
112
|
19,4 %
|
177
|
MHP
|
16,38%
|
81
|
13,0 %
|
53
|
14,3 %
|
71
|
8,4 %
|
-
|
HDP
|
13,10%
|
79
|
-
|
-
|
-
|
-
|
-
|
-
|
Unabhängige
|
0,79%
|
-
|
6,6 %
|
35
|
5,2 %
|
26
|
1,0 %
|
8
|
Zusammenfassung des Wahlergebnisses und erste
Bewertung
Von den insgesamt 55.649.551 Wähler_*innen gingen
45.885.623 (82,45 %) zur Wahl. Davon wurden 44.379.986 als gültige Stimmen
gewertet. Somit wurden über 1,5 Millionen Stimmen als Ungültig bewertet.
Zahlreiche Berichte bestätigen, dass insbesondere in den kurdischen Gebieten
und in mittelanatolischen Wahlbezirken viele Stimmen als Ungültig bewertet
wurden. In Zusammenhang mit den außerordentlich vielen Wahlfälschungsversuchen
kann durchaus behauptet werden, dass ein großer Teil der als Ungültig
bewerteten Stimmen, HDP-Stimmen sind.
In- und ausländische Wahlbeobachter sind sich einig,
dass diese Parlamentswahlen als ungerecht und undemokratisch zu bezeichnen
sind. Gerade die Oppositionsparteien, allen voran die HDP, hatten mit vielen
Behinderungen und Schwierigkeiten zu kämpfen. Die HDP sollte mit aller Macht
behindert werden. Während der gesamten Wahlkampfphase wurde die HDP das Ziel
von über 160 Angriffen, 3 davon Bombenanschläge. In Adana und Mersin
explodierten vor den HDP-Büros Bomben, nur durch Zufall kam niemand ums Leben. Einige
Tage vor der Wahl, am 3. Juni 2015 wurde in Bingöl der Fahrer eines HDP-Busses
mit 30 Kugeln regelrecht hingerichtet. Am vorletzten Tag, am Freitag, den 5.
Juni 2015 explodierten 2 Bomben in Diyarbakir auf der letzten Wahlkundgebung
der HDP. 3 Menschen starben, rund 350 Menschen wurden verletzt. 10 Menschen
mussten die Beine amputiert werden. Durch die besonnene Haltung der HDP-Führung
konnte eine Panik verhindert werden. Dass Zehntausende gleich nach den Bombenanschlägen
sich diszipliniert verhalten und für die Versorgung der Verletzten Korridore
geöffnet haben, zeigt m. E. die inzwischen errungene politische Reife der
kurdischen Bewegung und der sie tragenden kurdischen Bevölkerung. Die
Attentäter hatten Chaos und Unruhen stiften wollen, doch die Rechnung ging
nicht auf. Die HDP hat in den letzten Monaten des Öfteren ihren Willen für
Frieden und Demokratie zu beweisen gehabt. Schon im April 2015 konnten 13
Soldaten, die in einem, von der Armeeführung provozierten bewaffneten
Auseinandersetzung verletzt wurden, nur durch die Hilfe der HDP-Anhänger_*innen
aus dem Konfliktgebiet gerettet werden. In den Medien wurde darauf hingewiesen,
dass die Armeeführung den Tod von Soldaten vor den Wahlen billigend in Kauf
genommen habe, denn so hätte eine neue nationalistische Welle in den übrigen
Landesteilen die Wahlen bestimmen können.
AKP-Der
Anfang vom Ende: Die AKP hat mit
40,93% insgesamt 18.715.569 Stimmen (2011: 21.466.446) auf sich vereinigen
können. Somit hat die AKP über 9 Prozent bzw. rund 2,7 Millionen Stimmen
verloren. In jedem Wahlbezirk hat die AKP Stimmen verloren. Staatspräsident
Erdoğan schaltete sich in den Wahlkampf ein und trotz der
verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Unparteilichkeit forderte er die Wähler_*innen
auf, der AKP zu 400 Abgeordneten zu verhelfen. Konstruierte
Eröffnungszeremonien von unfertigen bzw. längst in Betrieb genommenen
staatlichen bzw. privaten Einrichtungen wurden von Erdoğan als Kundgebungen
genutzt. In den letzten Wochen des Wahlkampfes wurden eigens für solche Zwecke
in verschiedenen Städten Kundgebungen unter dem Titel »Der Staatspräsident
trifft seine Staatsbürger« durchgeführt. In diesen Kundgebungen hat Erdoğan die
Oppositionsparteien, aber insbesondere die HDP ins Visier genommen und für sein
Präsidialsystem geworben. Dabei appellierte er an niedere nationalistische
Instinkte und sagte u. a., »Ich vertrete die Nation. Wenn ich volle
Handlungsfreiheit bekommen, kann das Land besser regiert werden. (...) Die
Türkei müssen wir wie eine Aktiengesellschaft regieren. Gewaltenteilung und
Verwaltungsgerichtsbarkeit verhindern dies. Wenn wir Investitionen tätigen
wollen, kann irgendein Richter das verhindern. Das brauchen wir nicht. (...)
Die Oppositionsparteien und die mit ihnen verbundenen illegalen Strukturen
wollen den nationalen Willen verhindern. (...) Atheisten, Homosexuelle,
Terroristen, das jüdische Kapital und die Feinde der Türkei ziehen am selben
Strang.«
Im Kernbasis der AKP fanden diese Aussagen Zustimmung.
Unterschiedliche Analysten in der Türkei sprechen davon, dass die AKP ohne die
Intervention Erdoğans noch weniger Stimmen hätte bekommen können. Dabei standen
der AKP der gesamte Staatsapparat und die vielen gleichgeschalteten Medien zur
Verfügung. Alleine im staatlichen Fernsehen TRT wurde in einem Monat (Mai 2015)
über Erdoğan 45 Stunden, über die AKP 54,5 Stunden berichtet. Über die CHP aber
nur 14 Stunden, über die MHP 7,5 und über die HDP nur 3 Stunden.
Ministerpräsident Davutoğlu nutzte seine Dienstflugzeuge und den sämtlichen
Fuhrpark für die Wahlkampfveranstaltungen. Beamte, Lehrer_*innen und staatliche
wie kommunale Beschäftigte sowie Schüler_*innen wurden landesweit verpflichtet,
an AKP-Kundgebungen teilzunehmen.
Trotzdem konnten die polarisierende und zutiefst nationalistische
Rhetorik Erdoğans und die von Großmacht-Allüren bestimmten Reden des
Ministerpräsidenten den Stimmenverlust nicht verhindern. Im Gegenteil: die
Einmischung Erdoğans in nahezu jedes Thema, seine verleumdende Art und sein
Beharren auf dem autoritären Präsidialsystem hat breite Teile der Bevölkerung
gegen ihn mobilisiert. Auch Teile der ehemaligen Wähler_*innen der AKP waren
über seine Art irritiert. Innerhalb der Partei wurden kritische Stimmen lauter.
Insbesondere der Vorgänger Erdoğans im Staatspräsidentenamt, Abdullah Gül, der
stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç sowie der für die Wirtschaft
zuständige stellvertretende Ministerpräsident Ali Babacan zeigten offen, dass
sie mit der von Erdoğan vorgegebenen Linie nicht einverstanden sind.
Zudem sorgten die Misserfolge in der Außenpolitik, die
offen zu Tage getretene Unterstützung von islamistischen Terrorgruppen im Irak
und Syrien sowie die Förderung von konfessionellen Konflikten für Unmut in der
Bevölkerung. Die Stagnation in der Wirtschaft, die hohe Verschuldung der
privaten Haushalte, soziale Probleme, die hohe Zahl von Arbeitsunfällen mit
Todesfolge, allgemeine Unzufriedenheit mit der ökonomischen Lage der
Beschäftigten, Lohnrückgänge führten zu Vertrauensverlusten. Auch die türkischen
Kapitalfraktionen zeigten sich zunehmend unzufrieden mit der Regierungsarbeit
und der, die »Stabilität« gefährdenden Gebaren Erdoğans. Obwohl das türkische
Großkapital mit der Umsetzung der neoliberalen Agenda und
Kapitalexportbemühungen der AKP-Regierung durchaus zufrieden waren, gab es
Kritik gegenüber der polarisierenden Rhetorik Erdoğans. Dass diese Kritik nicht
sehr laut geäußert wurde, hatte mit der lange anhaltenden großen
gesellschaftlichen Unterstützung Erdoğans zu tun. Nun wird diese Kritik lauter
werden. Es ist zu erwarten, dass »gemäßigtere« Kräfte in der AKP aufgefordert
werden, das »Zepter in die Hand« zu nehmen. Wahlbeobachter äußerten am
Wahlabend, dass Abdullah Gül sich vorbereitet, sich als »Retter« zu
präsentieren.
Noch kann nicht vorausgesagt werden, wie eine Änderung
in der AKP-Führung stattfinden wird. Aber es steht außer Frage, dass die
derzeitige Führung unter Davutoğlu in der Partei mit einem gewichtigen
Gegenwind zu rechnen hat. Inzwischen sprechen sogar regierungsnahe Journalisten
davon, dass der erste Verlierer der Wahlen der Staatspräsident Erdoğan ist.
Zwar wird Erdoğan für diese Niederlage zuerst Davutoğlu verantwortlich machen
und mit vielen, ihm hörigen Abgeordneten eine Reorganisation der AKP vollziehen
wollen, ob aber Erdoğan die nächsten Wochen ohne Schramme bestehen kann, ist
zweifelhaft. Denn in der jetzigen Parlamentskonstellation kann die AKP ohne
einen Koalitionspartner keine Regierung gründen. Möglicherweise wird Erdoğan
versuchen, mit einer AKP-Minderheitsregierung Neuwahlen vorzubereiten, aber der
Kitt, der die AKP zusammengehalten hat, ist nun sehr brüchig geworden.
Die Oppositionsparteien
Obwohl die CHP in den letzten Monaten mit einer auf
soziale Gerechtigkeit ausgerichteten Wahlprogrammatik durchaus Sympathien bekommen
hat, konnte sie es nicht schaffen, sich als eine echte Alternative
darzustellen. Die CHP erhielt mit 25,08 Prozent insgesamt 11.466.988 Stimmen,
was gegenüber 2011 nur eine Stimmenerhöhung von knapp 320.000 Stimmen
entspricht. Der Parteivorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu erhoffte mit einer
Sozialrhetorik und einer »Anti-Präsidialsystem-Kampagne« die unentschlossenen
Wähler_*innen für seine Partei zu gewinnen und die laizistische
Wähler_*innenbasis zu konsolidieren. Aber die von Erdoğan geförderte gesellschaftliche
Polarisierung und die Angst vor einem autoritären Präsidialsystem führte dazu,
dass laizistische Wähler_*innen den Ausweg in der Unterstützung der HDP sahen.
Insbesondere die Losung »5 Prozent für CHP nützt nicht, aber 0,5 Prozent für
die HDP kann Erdoğan verhindern« hat viele CHP-Wähler_*innen zu HDP-Unterstützer_*innen
verwandelt.
Nutznießer der nationalistischen Rhetorik war die
neofaschistische MHP. Sie konnte nicht nur ihre Wählerbasis halten, sondern
gleichzeitig von Wählerwanderungen von AKP und CHP profitieren. Die MHP bekam
mit 16,40 % insgesamt 7.489.679 Stimmen und konnte gegenüber den Wahlen von
2011 rund 2 Millionen Stimmen mehr erhalten. Nach Bekanntgabe der ersten
Prognosen wurden in den Fernsehsendungen von einer möglichen AKP-MHP-Koalition
gesprochen, aber der MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli machte in den nächtlichen
Stunden klar, dass seine Partei keine Koalition wünsche. Ob die MHP dies
aufrecht halten kann oder einer personell veränderten AKP doch ja sagen wird,
kann erst in den nächsten Tagen gesagt werden.
Eindeutige
Gewinnerin der Wahl: HDP. Wahlforschungsinstitute
waren sich lange nicht einig, ob die HDP die 10-Prozent-Hürde schaffen könnte.
Lange Zeit sahen die Prognosen die HDP an der Wahlhürde. Aber die Anschläge auf
die HDP in den letzten Wochen und die Möglichkeit, dass die AKP die Nutznießerin
eines Parlaments ohne die HDP sein würde, hat nicht nur die kurdischen und
linken Wähler_*innen, sondern auch zahlreiche laizistische Türken zur Wahl der
HDP bewegt. In der erstmaligen Wahlteilnahme als Partei konnte die HDP mit
13,10 Prozent 5.989.125 Stimmen auf sich vereinigen können. 2011 war die
Vorgängerpartei BDP (Partei des Friedens und der Demokratie) mit unabhängigen
Kandidat_*innen angetreten und ca. 6,4 Prozent erhalten. Bei diesen Wahlen
konnte die HDP ihre Stimmen quasi verdoppeln.
Eines der wichtigen Gründe für den Antritt als Partei,
war das Wahlergebnis von Selahattin Demirtaş bei den Wahlen zum
Staatspräsidenten am 10. August 2014. Demirtaş konnte damals mit 9,76 Prozent
rund 3,9 Millionen Stimmen auf sich vereinigen (siehe Tabelle).
Wahl des Staatspräsidenten am 10. August
2014
Name
|
Stimmen
|
i.
v. H.
|
Recep Tayyip Erdoğan
|
21.000.143
|
51,79 %
|
Ekmeleddin M. İhsanoğlu
|
15.587.720
|
38,44 %
|
Selahattin Demirtaş
|
3.958.048
|
9,76 %
|
Zudem konnte die HDP ein
breites gesellschaftliches Bündnis in der Partei vereinigen. Im Grunde genommen
geht die Idee einer Dachpartei auf die Initiative des PKK-Führers Abdullah
Öcalan zurück. Öcalan konnte die kurdische Bewegung für eine Allianz mit
sozialistischen und liberal-demokratischen Kräften gewinnen und schaffte
dadurch, dass die Isolation der kurdischen Bewegung durchbrochen werden konnte.
Mit der HDP hat sich ein breites Spektrum politischer Kräfte gebildet, die von
religiös orientierten Kurd_*innen über ehemals Sozialdemokraten, Frauen-,
Umwelt-, Antiglobalisierung-, Antigentrifizierungs- und LGBTTI-Aktivist_*innen
bis hin zu Mitgliedern der illegalen Kommunistischen Partei der Türkei reicht.
(Ordnungshalber sollte hier auf ein Artikel von Nick Brauns hingewiesen werden,
der detailiert die HDP und mögliche Entwicklungen analysiert: http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Tuerkei1/wahl2015.html)
Zwar wird die HDP allgemein als ein Linksbündnis
bewertet, aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Um den Einfluss der AKP
innerhalb der konservativen kurdischen Bevölkerung zurückzudrängen, wurden
religiös-konservative Kandidat_*innen aufgestellt. In den Vordergrund wurde
eine »Identitäten-Kampagne« gestellt, die sich für die Gleichberechtigung aller
ethnischen wie religiösen Gruppen einsetzte. Auch die Rechte der
gesellschaftlichen Minderheiten wurde betont. Mit dem Co-Parteivorsitzenden
Demirtaş hatte die HDP einen Sympathieträger, der in weiten Teilen der
Bevölkerung und Medien Vertrauen genoss. Gegenüber der polarisierenden Rhetorik
Erdoğans setzte Demirtaş auf Besonnenheit und Hervorhebung von Forderungen nach
Frieden und Demokratisierung. Eine klare Aussage gegen das Präsidialsystem
verschaffte Demirtaş weitere Sympathiepunkte seitens der laizistischen
Wähler_*innen.
Kommunist_*innen, Sozialist_*innen und andere Linke in
der HDP sorgten dafür, dass linke Positionen im Wahlprogrammatik Platz fanden.
Die friedliche Lösung der Nationalitätenfrage, Forderungen nach sozialer
Gerechtigkeit und einer breiten Demokratisierung wurden bestimmende Faktoren
der HDP-Aussagen. Es konnte eine Brücke zu den Forderungen des »Juni
Aufstandes« von 2013 hergestellt werden. Zahlreiche Aktivist_*innen
unterschiedlicher Gruppen, die Teil des »Juni Aufstandes« waren, fanden als
Kandidat_*Innen und Mitglieder der HDP Platz. Auch die Solidaritätswelle mit
dem erfolgreichen Widerstand in Kobanê (in Rojava) konnte für einen weiteren
Aufwind sorgen. Linke Parteien, wie die EMEP (Partei der Arbeit), die zwar
innerhalb der HDK (Demokratischer Kongress der Völker) tätig sind, aber nicht
der HDP angehören, riefen ihre Mitglieder zur Wahl von HDP auf. Auch andere
sozialistische Parteien und Gruppen wie die Halk Evleri (Volkshäuser) stellten
sich hinter die HDP.
Die Verhinderung des autoritären Präsidialsystems und
die Möglichkeit den herrschenden Kräften einen empfindlichen Schlag zu
versetzen, somit den Friedensprozess in der kurdischen Frage zu fördern und
kriegerische Pläne der AKP in Syrien zu verhindern, waren die wesentlichen
Gründe für das Engagement von Kommunist_*innen, Sozialist_*innen und anderen
Linken in der und für die HDP. Die Tatsache, dass Hunderttausende ehrenamtliche
Wahlbeobachter_*innen, Aktivist_*innen und einzelne Wähler_*innen sich für den
Schutz der Wahlurnen engagiert haben, um die HDP herum eine breite
gesellschaftliche Unterstützung gebildet wurde und somit die zahlreichen
Wahlfälschungsversuche noch im Keim erstickt werden konnten und nicht zuletzt,
der absoluten Parlamentsmehrheit der AKP einen Riegel vorgeschoben werden
konnte, ist für die Linke in der Türkei als ein großer Erfolg zu bezeichnen. Es
wird in erster Linie von dem weiteren Engagement der linken Kräfte, von ihrem
können, den parlamentarischen eng mit der außerparlamentarischen Kampf zu
verbinden abhängen, wie sich die Oppositionsarbeit der HDP für die Türkei
entwickeln wird. In den späten Stunden der Wahlnacht kann noch nicht
vorausgesagt werden, wie die herrschenden Kräfte in der Türkei auf dieses
Wahlergebnis reagieren werden und ob mit einer Neuwahl zurechnen ist, aber dass
der Sieg der HDP einige, mit Sicherheit positive Veränderungen mit sich bringen
wird. Einer dieser Veränderungen wird sein, dass die AKP-Ära heute Nacht
beendet wurde. Das ist auf jeden Fall ein Grund zur Freude.
Noch bedeutet der Wahlsieg der HDP nicht, dass in der
Türkei eine demokratische, linke Mehrheit an die Macht kommt. Aber dieser
Wahlsieg bietet eine gute Grundlage dafür, das gebildete Linksbündnis zu
erweitern und für den Kampf gegen den Neoliberalismus, gegen Krieg und
neo-osmanische Ambitionen, für Demokratisierung und Frieden breite
gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden. Die Hauptlast dieser Aufgabe haben
sozialistische Kräfte in der kurdischen Bewegung und kommunistische,
sozialistische, linke Parteien und Gruppen zu tragen haben. Die wichtigste
Lehre aus diesem Wahltag ist, dass eine Linke, die es bewerkstelligt, geeint
und Bündnisse bildend anzutreten, Wahlerfolge erreichen und den Herrschenden
empfindliche Schläge erteilen kann. Das macht Hoffnung und Lust auf mehr.
Doch darüber und über Perspektive zu sinnieren ist
noch Zeit. Jetzt sollte der HDP gratuliert werden. Auch dafür, dass wir nach 13
Jahren AKP-Regierung sagen können: heute ist ein guter Tag. Erdoğan in seine
Schranken gewiesen zu haben, ist Grund genug zur Freude. Während den
Widerstandstagen im Gezi Park wurde immer wieder gerufen, »Das ist der Beginn,
der Kampf geht weiter!«. Diese Losung ist heute aktueller denn je.