Journalismus
in der Türkei ist vor allem für Linke riskant. Seit einiger Zeit aber auch für
Kreise, die zuvor das Geschäft der AKP-Regierung betrieben
Aus: »junge Welt« vom 19.11.2015
Repressionen gegen Journalisten und Redaktionen in der
Türkei sind derart alltäglich, dass Meldungen über Razzien bei
regierungskritischen Medien – wie etwa vor einer Woche – kaum noch Skandalwert
haben. Betroffen waren diesmal Redaktionsräume der Zeitung Zaman, ihrer
englischsprachigen Ausgabe Today's Zaman und der zur selben Gruppe
gehörenden Zeitschrift Aksiyon, die noch nicht lange zu den »üblichen Verdächtigen«
zählen.
Während die islamisch-konservative AKP-Regierung große
Teile der Presselandschaft unter ihre Kontrolle gebracht und gleichgeschaltet
hat, wird der Druck auf kritische Medien weiter erhöht und die Pressefreiheit
willkürlich eingeschränkt. Neben linken Zeitungen und Magazinen werden dabei
neuerdings vor allem jene zum Zielobjekt, die der islamistischen
Fethullah-Gülen-Bewegung nahestehen, darunter die Zaman-Medien. Gülen
galt einst als Verbündeter des AKP-Regimes, seit rund zwei Jahren gilt er als
Staatsfeind, dessen Bewegung den Apparat unterwandert habe.
Gestärkt durch das Wahlergebnis vom 1. November ist die
AKP dabei, ein neoliberales Sicherheitsregime zu installieren, um ihre
Machtposition zu stärken. Die Aufhebung der Pressefreiheit und des Rechts auf
Informationsbeschaffung – immerhin in der gültigen Juntaverfassung garantiert –
ist die unumgängliche Konsequenz. Nach Angaben der »Solidaritätsplattform für
inhaftierte Journalisten« (TGDP) waren Anfang des Monats insgesamt 28
Journalisten inhaftiert. 24 von ihnen arbeiten für linke Medien. Hidayet
Karaca, Vorstandsvorsitzender der Verlagsgruppe Samanyolu und der Journalist
Mehmet Baransu gehören der Gülen-Bewegung an. Cevheri Güven, Chefredakteur der
liberalen Wochenzeitschrift Nokta und sein Nachrichtenchef Murat Capan wurden inhaftiert,
weil auf der Titelseite eine Fotomontage veröffentlicht worden war, die zeigte,
wie Präsident Recep Tayyip Erdogan ein »Selfie« vor Soldatensärgen aufnahm.
Güven und Capan wird unter anderem »Beleidigung des Staatspräsidenten«
vorgeworfen. Übrigens: Wegen dieses Vorwurfs werden nahezu jeden Tag
Journalisten und auch private Nutzer sozialer Medien vor Gericht gezerrt.
Linke Medienschaffende werden in der Regel mithilfe
konstruierter Straftatbestände wie »Putschversuch«, »Unterstützung einer
terroristischen Organisation«, bzw. Werbung für deren Ziele inhaftiert. In den
letzten Monaten ist vermehrt zu beobachten, dass kritische Journalisten nicht
nur bei ihrer Arbeit behindert, sondern gleich verhaftet werden. Gerade in den
kurdischen Gebieten werden sie von Sicherheitskräften offen bedroht. Am 4.
Oktober hielt ein Zivilbeamter in Silvan einem Journalisten die Pistole an die
Schläfe und drohte, ihn zu erschießen. Obwohl diese Szene von Kameras
aufgenommen und anschließend im Fernsehen ausgestrahlt worden war, wurde der
Beamte bis heute nicht zur Verantwortung gezogen.
Linke Journalisten sind zum Freiwild erklärt worden. In
einem weiteren Fall, der auch im Fernsehen zu sehen war, erklärte ein Polizist
bei der Verhaftung einer Journalistin: »Ihr werdet lernen müssen, dass jetzt
alles anders ist«. Im Zuge des schmutzigen Krieges gegen die kurdische
Bevölkerung wird in den Städten, die von Militär und Sondereinheiten der
Polizei umlagert und beschossen werden, die Berichterstattung mit allen Mitteln
verhindert. Am 13. November konnten Fernsehzuschauer die Verhaftung von zehn
Journalistinnen und Journalisten, die in Van-Ercis über die Bombardierung des
Ortes berichtet hatten, live miterleben. Zweien von ihnen wirft die
Staatsanwaltschaft »Unterstützung einer terroristischen Organisation« vor.
Es wirkt wie eine Ironie des Schicksals, dass gerade die
Medien der Gülen-Bewegung, die noch bis vor kurzem mit volksverhetzender
Berichterstattung einen Kreuzzug gegen linke Medien führten, nun selbst Opfer
des von ihnen mit aufgebauten Repressionsregimes werden. Die Gülen-Bewegung
wurde kurzerhand zum »Staatsfeind« erklärt. Mehreren Fernsehsendern der Bewegung
wurden die Übertragungslizenzen für das Türksat-Netz entzogen. Die Koza-Ipek
Mediengruppe, eine Fetullah Gülen nahestehende Holding, wurde einem Treuhänder
übertragen, der insgesamt 73 Journalistinnen und Journalisten von
Tageszeitungen und Fernsehsendern sofort gekündigt hat. Die Betroffenen
verlieren aufgrund des Vorwurfes, »gegen die Interessen ihrer Arbeitgeberin
gehandelt zu haben«, jeden Anspruch auf Arbeitslosengeld, das ohnehin geringer
ausfällt als in Deutschland. Da sie nun auf der »Schwarzen Liste« stehen, haben
sie kaum Chancen auf eine Neuanstellung.
Auch das große Medien- und Wirtschaftsimperium von Aydin
Dogan wird unter Druck gesetzt. Vor einigen Jahren musste die Dogan-Holding
mehrere Milliarden Steuerrückzahlung leisten, weshalb Milliyet, die
zweitgrößte Zeitung des Unternehmens, verkauft werden musste. Kurz vor
den Parlamentswahlen wurde das Flaggschiff des Unternehmens, die Tageszeitung Hürriyet, Ziel einer
wütenden AKP-Meute, die den Eingangsbereich der Zeitung verwüstete. Ahmet
Hakan, ein prominenter Journalist der Zeitung, wurde vor seinem Haus von vier
AKP-Mitgliedern zusammengeschlagen.
Die direkte Repressionen
einerseits, die Nichtakkreditierung kritischer Medien für offizielle Anlässe
andererseits und der Druck auf die bürgerlichen Medien erfüllen ihren Zweck:
Inzwischen finden vor allem Politiker der Demokratischen Partei der Völker
(HDP) keinen Platz mehr in Fernsehsendungen oder Berichten. Bürgerliche Medien
scheuen nun jegliche Kritik und bedienen sich nur noch bei der staatlichen
Nachrichtenagentur Anadolu. Unterdessen werden Erdogan und sein AKP-Regime von
ihren westlichen Partnern hofiert. Die Türkei soll als »sicheres Herkunftsland«
gelten. Tatsächlich ist sie ein Paradebeispiel dafür, was Menschenrechte,
Demokratie oder Pressefreiheit für die deutsche Außenpolitik wert sind, wenn es
um wirtschaftliche und strategische Interessen geht.