Freitag, 9. Juli 2010

Hass und Abscheu

Juli 2007/ Es heißt, dass die Sprache ein Spiegelbild der Gedanken ist. Angesichts des gesagten und geschriebenen auf den Wahlkundgebungen, in türkischen Medien und vielen Diskussionsforen im Internet, könnte man glatt sämtliche Hoffnung auf die Vernunft und den Menschen verlieren.

Die Aussagen von Parteiführern der AKP, CHP, MHP und anderen etablierten Parteien als »im Gefecht der Wahlkämpfe gezeigte Aufgeregtheit« abzutun oder die Kriegsgeschreie der Armeeführung als »Sorge um die Sicherheit des Landes« zu relativieren, wäre ein fataler Fehler. Weder die Parteiführer, noch der Armeechef oder andere Eliten sprechen einfach so daher. Ihre Sprache, ihre Aussagen spiegeln ihre Gedanken wieder.

In den letzten Tagen wird auf den Wahlkundgebungen nur noch Krieg und Tod heraufbeschworen. Die Debatten über den Einmarsch in den Nordirak, den Vollzug der Todesstrafe für Öcalan und über die Behandlung der kurdischen Zivilbevölkerung als »Terroristen« belegen, dass die Herrschenden in ihrem Wahn, das Feuer mit Benzin zu bekämpfen, jegliche Rationalität und Vernunft abgelegt haben. Sowohl die Regierenden, als auch jene, die Regieren wollen, schüren eine Politik des Hasses und des Abscheus. Dass der von ihnen entfachter Flächenbrand womöglich Millionen das Leben kosten könnte, scheint sie überhaupt nicht zu interessieren.

Wer die Geschichte kennt, kann zwischen der jüngsten Entwicklung in der Türkei und der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands viele Parallele erkennen. Eines der wichtigsten Instrumente des Hitler-Faschismus, um ihre Machtstellung innerhalb der Bevölkerung zu fundamentieren und ihre imperialistischen Gelüste zu fördern, war die Sprache. Bevor Nazis Juden und Andersdenkende massenhaft und auf industrielle Weise vernichteten, hatten sie ihre Opfer mit »Ratten und Ungeziefer« gleichgesetzt und entmenschlicht. Obwohl ein großer Teil der deutschen Bevölkerung wusste, dass in den KZs die Krematorien im Hochbetrieb arbeiteten, sagten sie nichts. Denn die, die vernichtet wurden, waren ja keine Menschen. Das Ergebnis kennen wir: 50 Millionen Tote, ein verwüsteter Kontinent und ein Volk, das bis zum bitteren Ende für den Führer kämpfte.

Die Manipulation der Aussage, die Instrumentalisierung der Sprache für Propagandazwecke und die Umdeutung von Begriffen im Sinne der Interessen der Herrschenden, beeinflusst unmittelbar die gesellschaftliche Wahrnehmung. So wird die Propaganda von der »Terrorgefährdung« und die künstliche »Laizisten – Antilaizisten« Auseinandersetzung zu einem Herrschaftsinstrument.

Im Grunde genommen sind in der Irrationalität der türkischen Machthaber auch rationelle Elemente zu finden. Beispielsweise gehört die Ethnisierung der Kriminalität in den Großstädten, der Vorwurf, dass bei den »rückständigen« Kurden eine Bevölkerungsexplosion bevorstehe, die Behandlung der zivilen kurdischen Bevölkerung als potentielle »Terroristen« und Kriminelle, die Behauptung, dass der türkische Nationalismus »gut« und »angemessen«, aber »ethnischer Nationalismus« dagegen »schlecht« und »separatistisch« sei, zu einer bewussten Politik der »Andersmachung« und Entmenschlichung. Eben diese Politik eröffnet dann den Weg, der zur »Vernichtung« der »niederträchtiger Kreatur« und ihn unterstützenden »Pseudostaatsbürgers« führt.

Die geschürte Hass- und Abscheuatmosphäre, die Kriegsgeschreie der, sich wie Henker benehmenden Eliten schafft ein Klima, in der die wahren Ursachen der Probleme des Landes und somit auch des Nahen Ostens kaum wahrgenommen werden. Dabei könnte man aus der Geschichte lernen. Genau wie im Nationalsozialismus die Interessen der Herrschenden nicht mit den Interessen der Bevölkerung übereinstimmten, stehen in der heutigen Türkei die Interessen der Herrschenden diametral gegenüber den Interessen der Völker im Nahen Osten. Es kommt darauf an, hinter dem Nebel aus Blut, Pulver und Desinformation diese Wahrheit zu erkennen.

Der einzige Weg dafür liegt in der Demokratie. Eine Türkei, in der die Demokratie mit all seinen Institutionen vollständig funktioniert und Rechtsstaatlichkeit über alles erhaben ist, könnte Möglichkeiten eröffnen, die sowohl für die Lösung ihrer eigenen Probleme, als auch für die Schaffung eines Weges des Friedens und Wohlstandes im Nahen Osten erhebliche Potentiale enthalten. Wer in der Türkei an einer solchen Entwicklungsweg interessiert ist, sollte am 22. Juli die unabhängigen KandidatInnen, die eine Sprache des Friedens und der Demokratie sprechen, wählen.

Am 7. Juli 2007 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«