Mai 2007/ Das militärische Vormundschaftsregime sieht die Fortführung einer Vernichtungspolitik als einzige Lösung für die Krise, in der sie sich befindet. Obwohl die Parteien im Parlament in keiner Frage einer Meinung sind, kommen sie zur Verhinderung der Wahl unabhängiger KandidatInnen zusammen. Kurz nach dem der Staatspräsident eine entsprechende Gesetzesänderung im Eilverfahren genehmigt hatte, hat das Kassationshof beschlossen, dass Leyla Zana und ihre Kollegen weder DTP – Mitglieder, noch zum Parlament kandidieren dürfen. Es steht fest, dass die Hohe Wahlkommission ähnlich entscheiden wird.
Es hat den Anschein, dass das Regime mit all ihren Institutionen den Einzug der KurdInnen und links-sozialistischer Opposition ins Parlament verhindern will. Die 10-Prozent-Hürde wurde deswegen installiert. Nun soll die einzige Möglichkeit des geltenden Wahlrechts, als unabhängige KandidatInnen ins Parlament einzuziehen, ausgehöhlt werden.
Während auf dem Feld der vorgezogenen Neuwahl dies passiert, hat die Armeeführung längst des Wahlkampf, ihren »bewaffneten Wahlkampf« eröffnet. Die »Vernichtungsoperationen«, von Zivilisten angefeuerte »Terroristenjagd«, Ausweitung des »Dorfschützermaßnahmen« und die Verschärfung der seit Jahren andauernden Unterdrückungspolitik gegen die kurdische Bevölkerung sind Teil dieses bewaffneten Wahlkampfes, zeigen aber auch, wie irrationell das militärische Vormundschaftsregime nun handelt.
Einige der LeserInnen von Yeni Özgür Politika werden sich erinnern: in einer meiner Kolumnen hatte ich geschrieben, dass Haluk Gerger der Auffassung sei, dass »die Armeeführung irrationell handeln werde« und ich diese Auffassung teile. Obwohl viele Menschen, mit denen ich die Möglichkeit hatte zu diskutieren, der Meinung waren, dass die Armeeführung doch rationell handelt und mit der Schaffung einer zivilen Bewegung dies auch bewiesen habe, glaube ich, dass die militaristische Clique in die Ecke gedrängt wurde und deshalb weiter irrationell handeln wird. Die Entwicklung der letzten Wochen und die Erklärungen des Armeechefs Büyükanit zeigen, dass das militärische Vormundschafsregime vor Existenzgefahren steht. Die militaristische Clique handelt wie ein Tier, das bedrängt wird. Wenn sie noch weiter bedrängt wird, steht noch nicht fest, was sie alles tun könnte.
Was passiert in einer solchen Situation, wenn den KurdInnen der Weg ins Parlament verschlossen bleibt? So wie ich es einschätzen kann, will die kurdische Bevölkerung nicht mehr so regiert werden, wie bisher. Wenn die kurdische Bevölkerung, die im Grunde demokratische Grundrechte einfordert, zu recht an den politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Ressourcen teilhaben will und zu Genüge bewiesen hat, dass sie einen friedlichen Weg gehen wollen, keine VertreterInnen ins Parlament senden kann, werden sie die Lösung in den Bergen, also in dem bewaffneten Widerstand suchen. Das würde der Beginn eines Separierungsprozesses, ohne Umkehr bedeuten.
Wer denkt, dass dieser Prozess dazu verhelfen würde, das militärische Vormundschaftsregime am Leben zu erhalten, wird sich irren. Die Nachkommen der »Ittihat und Terakki Bewegung« werden »die Geister, die sie riefen« nicht wieder los. Und am Ende dessen wird sich ein Erdbeben ereignen, die den gesamten Nahen Osten erschüttern und die Auswirkungen sogar in Europa zu spüren sein werden.
Die »weißen Türken«, die seit 1923 an den Quellen der Macht sitzen, das türkische Bürgertum und die antilaizistischen neuen Mittelschichten sollten umdenken. Diejenigen, die dachten, dass sie ohne die Privilegien der militaristischen Clique anzutasten, an der Macht teilhaben können, müssten spätestens am 27. April eines bessern gelehrt worden sein. Auch wenn sie über eine absolute Mehrheit im Parlament verfügen, werden sie, solange die 1982 von der Militärjunta durchgesetzte antidemokratische Verfassung nicht Aufgehoben und die rassistisch-chauvinistischen Staatsideologie abgelehnt ist, nur die Handlanger der Militaristen bleiben. Wenn sie dann mal unabhängig handeln wollen, werden sie, wie gewohnt, die schallende Ohrfeige der Militärs wieder spüren.
Sie müssen erkennen, dass die einzige Lösung in der Demokratie liegt. Eine durch und durch demokratische Verfassung, Wahlen, die es ermöglichen, dass die gesamte Bevölkerung, ohne Hindernisse im Parlament vertreten werden können und die Neustrukturierung des Staates und ihrer Institutionen auf der Grundlage einer friedlichen und gleichberechtigten Verständnisses, ist auch die absolute Voraussetzung für ihre Zukunft. Auch diese Kräfte haben Verantwortung daran, die Gefahr eines Flächenbrandes aus der, gesellschaftlich dreigeteilten Türkei zu bannen. Wenn die Flammen ihr eigenes Haus erreicht haben, wird es viel zu spät sein.
Am 19. Mai 2007 veröffentlicht in der Tageszeitung »Yeni Özgür Politika«